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Einmal Chef, immer Chef?

Veröffentlicht am 07.10.2017
Einmal Chef, immer Chef?
Wer Führungsverantwortung abgeben möchte, braucht gute Argumente  
Von Manuela Specker
 
 
Katja F. ist in der Zwickmühle. Mehrere Jahre leitete sie eine grosse HR-Abteilung, jetzt möchte sie gerne in einer anderen Firma arbeiten, kürzer treten und Verantwortung abgeben. Als Expertin in solchen Themen weiss sie ganz genau, dass dies Misstrauen auslöst. Deshalb denkt sie allen Ernstes darüber nach, ihren Lebenslauf zu frisieren – einfach nach unten statt nach oben. Soll sie sich einfach Teamleiterin oder HR Business Manager nennen?
 
Wenn sich selbst eine HR-Expertin solche Gedanken macht, dann zeigt dies deutlich, wie verzwickt die Situation für die Betroffenen ist. Heute löst es noch immer Stirnrunzeln aus, wenn jemand auf der Karriereleiter ab- anstatt aufsteigen will. War er oder sie den Anforderungen etwa nicht gewachsen? Überlastet, überfordert, kurz vor dem Burn-out? Und so beginnt der Bewerbungsmarathon, weil die „Downshifter“, wie es im Fachjargon heisst, nicht einmal angehört, sondern vorzeitig aussortiert werden. Das Stigma der Überqualifikation wird man nur schwer wieder los. Ausgerechnet jene, welche es aufgrund viel Verantwortung und langer Arbeitszeiten oft am nötigsten hätten, einen Gang runter zu schalten, stossen auf die grössten Hindernisse. Firmen legen einen solchen Wunsch nämlich oft als mangelndes Commitment aus.  
 
Katja F. wendet sich in ihrer Verzweiflung an Christine Demmer, den Jobcoach der „Süddeutschen Zeitung“. Diese rät ihr natürlich davon ab, sich mit Tiefstapelei auf illegales Terrain zu begeben. Sie legt ihr stattdessen ans Herz, eine plausible Erklärung zu finden, die einerseits glaubwürdig ist, aber zugleich an ihrer Leistungsbereitschaft keine Zweifel aufkommen lässt. Ehrlichkeit ist am Ende eben doch Trumpf. „Je verkrampfter Sie um den heissen Brei herumreden, umso mehr Widerstand werden  Sie auf sich ziehen.“
 
Ist es der Wunsch, wieder mehr operativ tätig zu sein? Geht es darum, wieder mehr Zeit mit der Sache verbringen anstatt an Sitzungen zu verweilen oder zu repräsentieren? Oder will man sich in einem anderen Bereich spezialisieren und dafür die Führungsaufgabe aufgeben? Es gibt – neben dem Bedürfnis nach mehr Kontrolle über die eigene Zeit – etliche Gründe für berufliches Kürzertreten. Alles steht und fällt damit, wie glaubwürdig der Wunsch nach dem Rückschritt gegenüber dem potenziellen neuen Arbeitgeber erläutert wird. Einfach totschweigen und hoffen, dass es niemandem auffällt, ist die denkbar schlechteste Strategie. Wer den angestrebten Stellenwechsel authentisch darlegen kann, hat in jedem Fall die besten Karten.
 
Dass die Betroffenen in Rechtfertigungszwang geraten, spricht nicht gerade für eine fortschrittliche Haltung in einer Arbeitswelt, die doch ständig nach Veränderung und nach Burn-out-Prävention schreit. In der Praxis schaut es für die Betroffenen, die tatsächlich eigenverantwortlich etwas ändern wollen, meist anders aus. Leistungsbereitschaft wird leider allzu oft mit dem Streben nach höheren Positionen gleichgesetzt, obwohl Fachkarrieren genauso fordernd und anspruchsvoll sind.
 
Gut verkaufen muss sich also nicht nur, wer einen Chefposten will, sondern auch, wer keinen mehr will. Dafür muss man ja nicht gleich falsche Angaben im Lebenslauf machen, sondern ihn einfach geschickt anpassen. Sprich: nicht die eigenen Erfolge auflisten, sondern jene Tätigkeiten und Kenntnisse hervorheben, die im neuen Job oder im neuen Umfeld gefragt sind.
 
Christine Demmer hat noch einen wertvollen Hinweis auf Lager: Wer sich bei einer wesentlich grösseren Firma bewerbe als dem jetzigen Arbeitgeber, ernte weniger Misstrauen. „Je grösser und bekannter die Firma, desto selbstverständlicher gehen Personalfachleute davon aus, dass selbst Chefpositionen gerne dafür aufgegeben werden.“


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