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Arbeiten für Fortgeschrittene

Veröffentlicht am 17.02.2018 von Manuela Specker
Arbeiten für Fortgeschrittene

Home-Office wird gern als Lösung so mancher Probleme in der Arbeitswelt gepriesen. Doch das Arbeiten von Zuhause aus hat seine Tücken.

Es soll die Vereinbarkeit vom Beruf und Familie fördern, den Pendelverkehr entlasten und die Fixkosten für Büroräume senken: Das Home-Office scheint so eine Art Tausendsassa zu sein. Die Realität hinkt diesem Ideal hinterher. Das fängt schon damit an, dass in weniger als der Hälfte aller Firmen Home-Office überhaupt erlaubt ist, wie jüngst die Digitalisierungsstudie der ETH Zürich und der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW ergab.
 
Zum einen liegt dies an Jobs, bei denen an Home-Office nicht einmal zu denken ist: Ein Hausarzt zum Beispiel kann seine Patienten schlecht in den eigenen vier Wänden empfangen. Zum anderen herrscht nach wie vor eine skeptische Haltung vor. Selbst wenn die Technik für das Arbeiten von Zuhause aus kein Hindernis mehr darstellt, wird befürchtet, Angestellte seien weniger produktiv. Die gute alte Präsenz ist für manche Vorgesetzte und Firmenchefs noch immer das Mass aller Dinge.
 
Die Praxis zeigt aber immer wieder: Wer gelegentlich von zu Hause aus arbeiten kann, macht in der Regel mehr; gerade um zu beweisen, dass er diese Freiheiten nicht ausnutzt. Das wird aber auch schnell zum Selbstläufer. Immer wieder E-Mails abrufen, nach dem Nachtessen nochmals kurz am Konzept arbeiten: Gerade den Pflichtbewussten fällt es oft schwer, sich abzugrenzen. Gemäss einer Untersuchung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) der Vereinten Nationen sind jene, die gelegentlich im Home-Office arbeiten, gestresster als jene, die ausschliesslich an einem fixen Arbeitsplatz in der Firma tätig sind. Als Grund wird angeführt, dass abseits der traditionellen Arbeitsumgebung länger und intensiver gearbeitet werde.  
 
Was also die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern sollte, kann schnell ins Gegenteil verkehren. Auch deshalb haben die Gewerkschaften ein Problem mit der parlamentarischen Initiative der bürgerlichen Nationalräte, die mehr Gestaltungsfreiheiten bei der Arbeit im Home Office verlangt. Konkret soll der Zeitrahmen, in dem gearbeitet werden darf, von 14 auf 17 Stunden erhöht werden. Das bedeutet natürlich nicht, dass von Arbeitnehmenden verlangt werden kann, 17 Stunden am Stück durchzuarbeiten –  die Höchstarbeitszeit von 45 Stunden pro Woche bleibt unangetastet.
 
So manche, die schon heute immer mal wieder von zu Hause aus arbeiten, wussten nicht einmal, dass das Arbeitsgesetz eine Beschränkung von14 Stunden vorsieht. So gesehen hinkt das Gesetz den tatsächlichen Arbeitsverhältnissen immer hinterher. Und das ist zugleich Ausdruck des Dilemmas, die in der Forderung nach dem 17-Stunden-Zeitrahmen steckt: Gerade in Jobs mit hoher Autonomie ist es schon heute üblich, um Mitternacht noch schnell die E-Mails zu checken und trotzdem am Morgen früh wieder im Büro zu sein. Das ist dann kein Problem, wenn der Mitarbeitende selber Gegensteuer geben und sich auch Auszeiten nehmen kann. Diese maximale Flexibilität trägt in der Regel zur Zufriedenheit bei, weil sich so private Bedürfnisse und die Anforderungen im Job tatsächlich besser vereinbaren lassen. Ist die Arbeitsbelastung aber latent hoch, wird ein verlängerter Arbeits-Zeitrahmen zum gesundheitlichen Risiko für die Arbeitnehmenden, weil dann einseitig die Firmen von der flexiblen Arbeitsweise profitieren.
 
Das „Barometer Gute Arbeit“ der Berner Fachhochschule und der Gewerkschaft Travailsuisse, das jeweils die Qualität der Arbeitsbedingungen ergründet, lässt nichts Gutes erahnen: Gemäss der Umfrage aus 2017 haben Arbeitnehmende heute bedeutend weniger Einfluss auf die Gestaltung ihrer Arbeitszeiten und somit auch auf ihre freie Zeit.
 
Alle diese Entwicklungen sprechen nicht gegen das Home-Office. Sie zeigen lediglich, dass es nicht automatisch die Lösung für alle Probleme in der Arbeitswelt darstellt, sondern dass die Bedingungen bewusst gestaltet werden müssen – und zwar von allen Seiten. So setzt es eine spezifische Unternehmenskultur voraus, die nicht auf Ausbeutung aus ist und die auf Vertrauen basiert. Zudem verändern sich Teamarbeit und die Art der Führung, wenn nicht mehr alle vor Ort sind. Das kann, wenn dies nicht klar geregelt ist, die Abstimmung untereinander erschweren. Zu den Minimalstandards sollten gegenseitige Informationen zur Erreichbarkeit gehören, zum Beispiel durch einen gemeinsamen Kalender, der regelmässig aktualisiert wird.
 
Bei den betroffenen Mitarbeitenden erfordert Home-Office Selbstdisziplin in mehrfacher Hinsicht. Wer den Ablenkungen verfällt, die im Haushalt lauern, geht wohl besser ins Büro - nicht alle eignen sich gleichermassen fürs Home-Office. Häufiger ist aber ein übersteigertes Pflichtbewusstsein anzutreffen. Für diese Mitarbeitenden gilt: sich Grenzen setzen und nicht meinen, rund um die Uhr erreichbar sein zu müssen, weil man in den eigenen vier Wänden arbeiten darf.


Bildquelle: istock