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Burnout-Patienten - Stress ist nicht die Ursache

Veröffentlicht am 03.03.2013
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Die Medizinerin Mirriam Priess sensibilisiert für einen neuen Blick auf das Phänomen Burnout. Burnout wird durch den inflationären Gebrauch oft nicht mehr ernst genommen oder als blosse Reaktion auf Überlastung gesehen. Eine Ärztin gibt Gegensteuer und blickt hinter die Fassade der Zivilisationskrankheit. - von Manuela Specker -
Selbst das Fönen der Haare wurde der 41-jährigen Personalleiterin zu viel. Diese extreme Form der Antriebslosigkeit ist systematisch für Burnout-Patienten. Der allgemeine Konsens bei den Ausprägungen ist aber nur die eine Seite. Viel zu oft, kritisiert die Ärztin Mirriam Priess, werden Symptome für die Ursache gehalten. Überlastung, zu viel Stress, Konflikte mit den Vorgesetzten – solche Bedingungen werden gemeinhin als Auslöser für ein Burnout gesehen.

Mirriam Priess fragt in ihrem soeben erschienenen Buch, was eigentlich genau hinter dem Anspruch nach Leistung und Perfektion steckt und weshalb ein Mensch jahrelang über seinen Grenzen lebt. Schnell wird klar, dass es zu kurz greift, die Ursachen eines Burnouts in erster Linie in äusseren Bedingungen wie einer hektischen Arbeitswelt oder einem fordernden Vorgesetzten zu suchen.

«Menschen brennen aus, weil sie die Beziehung zu sich selbst und zu ihrer Umwelt verloren haben», beobachtet Mirriam Priess in ihrer eigenen Beratungstätigkeit. Kompensation und Ablenkung seien dabei entscheidende Bausteine auf dem Weg in ein Burnout. Betroffene sehen den Sinn des Daseins nicht in sich selber, sondern nur in dem, was sie erreichen – sei es im Beruf, im Sport oder in der Aufopferung für andere. Entscheidend ist das subjektive Stressempfinden. Stress entsteht nicht allein durch die Situation an sich, sondern durch das, was aus der Situation gemacht wird. «Je mehr wir mit dem, was wir wollen, identifiziert sind, desto stärker ist unser Stressempfinden, wenn es nicht erfüllt wird», so Priess.

Dieser glasklare Zusammenhang rückt das bisherige «Image» des Burnouts in ein ganz anderes Licht. Noch immer gilt es fast als Kompliment, einmal in seinem Leben an einem Burnout erkrankt zu sein, weil dies Leistungsbereitschaft und Ehrgeiz signalisiert. Zwar setzt sich vermehrt die Erkenntnis durch, dass der Begriff «Burnout» eigentlich ein Euphemismus ist und «Depression» den Zustand treffender beschreibt. Doch warum und wie kommt es zu einem seelischen Zusammenbruch, der – wenn zu spät oder gar nicht reagiert wird – allzu oft dazu führt, dass die Betroffenen den Weg zurück in den beruflichen Alltag nicht mehr finden?

Es ist die grosse Stärke des Buches von Mirriam Priess, den Schwerpunkt auf den wunden Punkt in Entstehung und Ausprägung von Burnout zu legen: die eigene Identität, die eigene Vorstellung von dem, wer man ist beziehungsweise wer man sein will. Hinter dem hohen Leistungsanspruch steht oft ein Minderwertigkeitsgefühl, das nicht losgelöst von Prägungen in der Kindheit durch das Elternhaus betrachtet werden kann. Menschen mit Burnout, so Priess, würden oft nicht nach der eigenen Identität, sondern vielmehr nach einer Vorstellung leben.

Eine typische Form der Kompensation ist eine immer extremere Form der Arbeitswut oder Unternehmenslust, um bloss nicht zur Ruhe zu kommen. Eine 43-jährige Managerin berichtete gegenüber Mirriam Priess, dass sie die Nächte durchgearbeitet und sich ein weiteres Projekt aufgeladen habe, «obwohl ich die vorhandenen schon nicht wirklich bewältigen konnte. Aber es war mir egal. Ich wollte allen beweisen, dass ich es hinkriege.» Irgendwann jedoch funktioniert diese Form der Kompensation, eine Art Suchtverhalten, nicht mehr.

Laut Priess entsteht Burnout niemals über Nacht, sondern dann, wenn eine Belastung vom Betroffenen nicht mehr kompensiert werden kann und zum Zusammenbruch führt. Um das Problem an der Wurzel zu packen, so ihre Hauptaussage, reicht es nicht, mehr Ruhe in das rastlose Leben zu bringen, sondern man sollte sich zu fragen, weshalb man eigentlich ein Leben führt, das nicht dem eigenen Wesen entspricht.

Aus dieser Perspektive ist es geradezu töricht, ein Burnout als Krankheit abzutun. «Burnout ist kein Ausdruck von Schwäche, sondern ein gesunder Selbstregulierungsversuch», meint Mirriam Priess. Der Zustand sei nichts anderes als ein Ausdruck dafür, Grenzen und eigene Bedürfnisse ignoriert zu haben. Er zwinge die Betroffenen dazu, kürzerzu- treten und zur Ruhe zu kommen. Zum Kern des Problems gelangt nur, wer erkennt, dass die Ursachen des Burnouts in eigenen Verhaltensmustern liegen.

Mirriam Priess: Burnout kommt nicht nur von Stress. Südwest-Verlag, 2013.

(Photo: FOTOLIA)