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Dicke haben es schwer

Veröffentlicht am 28.02.2016
Übergewicht im Berufsleben - Dicke haben es schwer  - myjob.ch
Übergewicht kann im Berufsleben ein grosses Hindernis darstellen.
Der Fitnesswahn nährt Vorurteile: Korpulenten Menschen werden prestigeträchtige Berufe sowie Führungspositionen bedeutend weniger zugetraut als Normalgewichtigen.
 
Von Manuela Specker

Es gibt einige wenige Menschen, die wegen ihres Übergewichts Karriere gemacht haben. Schauspieler Bud Spencer gehört dazu, der Rollen auch dank seiner Körperfülle erhalten hat. In aller Regel aber erwachsen übergewichtigen Menschen viele Nachteile im Beruf, da dick sein ungerechtfertigterweise mit Faulheit und Willensschwäche assoziiert wird. Nicht umsonst läuft der moderne Manager Marathon und trägt einen Aktivitätstracker – das ist nicht nur gut für die Gesundheit, sondern auch fürs Image. Es sind längst nicht nur Models, die dem Schlankheitswahn unterworfen sind – er macht sich bis in die Führungsetagen von Firmen bemerkbar.
 
Schon bei Bewerbungen haben korpulente Menschen schlechtere Karten. Wissenschaftler der Universität Tübingen legten 127 erfahrenen Personalentscheidern Bilder von unterschiedlichen Personen vor, denen sie Berufe und Positionen zuordnen mussten. Das Foto-Experiment führte zu einem eindeutigen Befund: Den stark Übergewichtigen trauten die Befragten die prestigeträchtigen Berufe und Führungspositionen bedeutend seltener zu als den schlanken Angestellten, die für Dynamik und Vitalität stehen.
 
Nicht nur der Bauchumfang, auch das Geschlecht spielt bei solchen Wahrnehmungen eine Rolle. So waren die Vorbehalte gegenüber übergewichtigen Frauen besonders gross. Zu diesem Schluss sind auch Wissenschaftler des Institutes zur Zukunft der Arbeit (IZA) gekommen, die den Body Mass Index (BMI) von 18`000 Personen mit dem Einkommen und dem ausgeübten Job verglichen. Am besten scheinen demnach Frauen zu verdienen, die über einen BMI von 21,5 und somit über einen schlanken Körperbau verfügen. (Der BMI berechnet sich aus dem Gewicht, dividiert durch die Körpergrösse in Metern im Quadrat). Mit steigendem BMI sank häufig auch das Gehalt. Die Forscher konnten auch nachweisen, dass übergewichtige Frauen mehr Mühe hatten, einen Job zu finden und häufiger und länger arbeitslos waren. Damit bestätigt sich die These, wonach vor allem bei Frauen das Aussehen einen grossen Einfluss auf die Karriere hat – völlig unabhängig von den tatsächlich erbrachten Leistungen.   
 
Das Forscherteam der Universität Tübingen hält denn auch fest, dass ein zu hohes Körpergewicht eine bisher vernachlässigte Ursache für Diskriminierungen auf dem Arbeitmarkt sei. Co-Autor Stephan Zipfel stimmen die Resultate nachdenklich, da gerade Personalentscheider darauf sensibilisiert sein sollten, unabhängig von Vorurteilen zu entscheiden. Natürlich kommen in realen Bewerbungsverfahren auch andere Wahrnehmungen zum Zug, aber gerade die isolierte Beurteilung anhand von Fotos gibt nach Einschätzung von Zipfel sehr gut die unbewusst vorhandenen Vorurteile von Personalentscheidern gegenüber adipösen Menschen wider.
 
Die Karrieremöglichkeiten von dicken Menschen wurden sogar viel geringer eingeschätzt, als dies auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich der Fall ist: Der Anteil übergewichtiger Männer in prestigeträchtigen Berufen ist mehr als fünfmal und bei Frauen mehr als achtmal so hoch, als ihnen im Foto-Experiment zugetraut wurde.
 
In den Firmen ist starkes Übergewicht noch immer ein Tabuthema. Das hat auch damit zu tun, dass das eigene Körpergewicht etwas sehr Privates ist. Das Fatale: Wenn die Menschen aufgrund ihres Körpergewichts stigmatisiert und diskriminiert werden, führt dies erst recht zu einem Frustessen – ein Teufelskreis.
Dabei ist das Gewicht keine Frage des Willens, und es sagt nichts über die eigenen Fähigkeiten aus. Übergewicht ist zu einem grossen Teil auch Veranlagung – während der eine essen kann, soviel er möchte und dabei kaum zunimmt, reicht beim anderen schon der Biss in eine Schokolade.
 
Aufgrund der klaren Befunde empfehlen die Tübinger Wissenschaftler, aus Fairnessgründen im Bewerbungsprozess auf Fotos zu verzichten. In der Schweiz sind aber Bewerbungsfotos  mittlerweile unerlässlich. Wer sich nicht zeigt, macht sich geradezu verdächtig. Immerhin gibt es eine gute Nachricht: Der Europäische Gerichtshof urteilte im Dezember 2014, dass Fettleibigkeit kein Kündigungsgrund mehr sein darf. Mitarbeitende, die sich wegen ihres Gewichts unfair behandelt fühlen, sollten dies unbedingt ansprechen und sich im schlimmsten Fall an eine externe Mobbing-Beratungsstelle wenden.

Foto: Thinkstock