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Gefährliche Gefühle

Veröffentlicht am 19.06.2016
Gefährliche Gefühle
Wer seine Emotionen unter Kontrolle hat, bringt es auch im Job weiter.   Wutanfälle oder Tränenausbrüche können das Ende der Karriere bedeuten: Wie man mit Emotionen am Arbeitsplatz umgeht.    Von Manuela Specker
Flugbegleiterinnen und -begleiter haben hoch über den Wolken keinen einfachen Job. Sie müssen immer freundlich sein und lächeln. Ganz egal, wie sie sich gerade fühlen, und ganz egal, wie sehr ein Passagier sie nervt. Das gilt auch für andere Berufe, in denen der direkte Kundenkontakt im Vordergrund steht.  Das Dauerlächeln kann aber krank machen.  Forscher der Universität Frankfurt fanden heraus, dass die beruflich verordnete Freundlichkeit Depressionen, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Probleme begünstigt. „Je weniger Einfluss Angestellte auf ihre Aufgabe haben, desto negativer wirkt sich ein Zwang zu Höflichkeit aus“, so der Arbeits- und Organisationspsychologe Dieter Zapf.  
 
Der beste Ratschlag: Sich in den Arbeitspausen regelmässig zurückziehen. Idealerweise lässt der Job auch Zeiten zu, in denen man für  sich alleine arbeiten kann und nicht nach bestimmten Erwartungen funktionieren muss.
 
Emotionen am Arbeitsplatz sind ein unterschätztes Thema, das nicht nur Mitarbeitende mit Kundenkontakt betrifft. Gerhard Blickle, Professor für Organisations-, Arbeits- und Wirtschaftspsychologie, ist überzeugt: Wer seine Gefühle unter Kontrolle hat, hat im Job die besseren Chancen.
 
Gefühlsausbrüche aller Art werden am Arbeitsplatz nämlich schnell als Selbstentblössungen wahrgenommen. “Wer starke Emotionen zeigt, wirkt schnell überfordert”, so Blickle, der sich unter anderem mit emotionalen Fertigkeiten als Erfolgsfaktoren im Beruf beschäftigt. Gefragt ist stattdessen souveränes Auftreten, „man erwartet von Menschen, dass sie sich selbst steuern können“, sagte er gegenüber der „Zeit“.  Eines der Hauptprobleme stark emotionaler Mitarbeiter ist ihre Unberechenbarkeit, denn für Aussenstehende ist oft nicht nachvollziehbar, warum ein Wutausbruch oder ein Weinanfall gerade jetzt erfolgt. Kommt dies immer wieder vor, lässt es die Betroffenen nicht nur weniger kompetent, sondern auch weniger verlässlich erscheinen.
 
Natürlich heisst das nicht, immer gute Laune vorspielen zu müssen. Vorgesetzte, die einmal einen Wutausbruch haben oder eine Türe zuknallen, sind noch lange keine Choleriker. Denn das Lautwerden kann durchaus eine wichtige Funktion erfüllen – indem es Mitarbeitende aus ihrer Lethargie wachrüttelt oder sie für die Ernsthaftigkeit der Situation sensibilisiert. Es wie so oft eine Frage des Masses und der Umstände. Ein Vorgesetzter, der wegen eines Fehlentscheides in Tränen ausbricht, würde rasch an Autorität und Ansehen verlieren.
 
Emotionen komplett vom Arbeitsplatz zu verbannen wäre illusorisch. Schliesslich ist heute allgemein bekannt, dass menschliches Handeln immer auch von Emotionen bestimmt wird – Vernunft und Gefühl sind nicht voneinander getrennt, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Und Menschen sind nun einmal keine Maschinen, sondern haben auch ein Privatleben, das sich belastend auf die Situation am Arbeitsplatz auswirken kann. Da ist es für Vorgesetzte und Kollegen durchaus angezeigt, auch einmal nachzufragen anstatt die Befindlichkeiten zu ignorieren.
 
Emotionen komplett zu unterdrücken und immer nach Schema F zu funktionieren, kann nicht nur für die Betroffenen belastend sein, wie das Beispiel der Flugbegleitenden zeigt. Kunden merken relativ schnell, ob jemand auf Knopfdruck funktionieren und eine Maske aufsetzen muss, oder ob die gezeigten Gefühle authentisch sind, was wiederum ein stimmiges Arbeitsklima voraussetzt.  In einem inspirierenden Umfeld sollen Mitarbeitende auch einmal laut werden können, ohne deshalb gleich als „emotional“ abgestempelt zu werden. Wer sich nämlich über ganz bestimmte Sachverhalte oder Verhaltensweisen aufregt und dabei zugleich konstruktive Vorschläge macht, dient dem Unternehmen mehr als jemand, der wie ein Roboter seinen Job erledigt und dem offenbar alles egal ist.
 
Die Kunst besteht darin, Gefühle angemessen und entsprechend der jeweiligen Rolle auszudrücken. So macht es einen grossen Unterschied aus, ob man es mit dem Bürokollegen von nebenan, mit dem Abteilungsleiter oder mit Kunden zu tun hat. Wer diese Form der emotionalen Intelligenz mitbringt, hat auch im Job die besseren Chancen.

Foto: Thinkstock