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Gut Ding will Weile haben

Veröffentlicht am 28.12.2018 von Manuela Specker - Bildquelle: Thinkstock
Gut Ding will Weile haben

Der Karrierepfad steckt voller Entscheidungen – und schon so manche haben sich im Nachhinein geärgert, nicht geduldiger gewesen zu sein. Zum Beispiel den Job nicht angenommen zu haben, weil es ein halbes Jahr später eine andere, passendere Gelegenheit gegeben hätte. Manchmal ist es die Angst, die zu vorschnellen Entscheiden führt. Manchmal aber auch die pure Ungeduld oder die Aussicht auf sofortige Belohnung.

Ein Verhalten, das bereits Kinder in sich tragen, wie das berühmte „Marshmallow“-Experiment aus den 1960er-Jahren zeigte: Sie wurden der Verlockung eines Marshmallows ausgesetzt. Brachten sie die Geduld auf, das Marshmallow nicht anzurühren, wurden sie später mit einem zweiten Marshmallow belohnt. Die Kinder, die nicht widerstehen konnten, hatten zwar sofort die Belohnung, kriegten aber dafür auch keine weitere Süssigkeit mehr. Jahre später zeigte sich: Jene, die fähig zum Belohnungsaufschub fähig waren, führten in der Regel beruflich wie sozial ein zufriedeneres Leben. 

Selbstvermarktung als Hindernis

Eine langfristige Handlungsweise ist allerdings nicht gerade das, was in der heutigen Berufswelt speziell gefördert wird  – nicht nur, weil Aktionäre in jedem Quartal positive Ergebnisse sehen wollen, sondern auch, weil jeder, der Karriere machen möchte, sich immer auch vermarkten muss. Abwarten, Tee trinken und auf eine bessere Gelegenheit warten wirken in diesem Kontext nicht besonders dynamisch. 

Aber eben diesem „immer sofort alles haben“ gilt es sich zu verweigern, wenn man die beruflichen Schritte vor allem für sich und nicht für andere unternehmen möchte. Auch hier gibt es ein berühmtes Beispiel: Der Schweizer Filmregisseur Marc Forster lehnte in jungen Jahren, als er so gut wie keinen Dollar mehr in der Tasche hatte, ein Filmangebot ab, das ihm zwar auf der Stelle viel Geld eingebracht, ihn aber auf eine bestimmte Art von Film festgelegt hätte. 

Selbstständigerwerbende können davon ein Lied singen: Manchmal braucht es eine Durststrecke von vielen Jahren und enorm viel Aufbauarbeit, bis die eigenen Pläne fruchten. Wer da nicht den Willen zu langfristigem Handeln mitbringt, kann es genauso gut bleiben lassen.

Der Wunsch nach sofortiger Belohnung ist nicht nur Charaktersache, wie es der Marshmallow-Test suggerieren könnte. Es ist dies eine Verhaltensweise, die mit der permanenten Verfügbarkeit von Kommunikationskanälen und Informationen zusätzlich gefördert wird. Nehmen wir das Beispiel von Whatsapp, Facebook oder herkömmlichen E-Mails: Eingehende Nachrichten verleiten dazu, sich immer wieder von der eigentlichen Arbeit ablenken zu lassen, da sie eine schnelle Belohnung versprechen – im Gegensatz zum aktuellen Projekt, das viel Denkarbeit erfordert.  

Vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen

Auch kleinere Aufgaben binden bisweilen die eigene Konzentration so stark, dass das grosse Ganze vergessen geht beziehungsweise auf später verschoben wird, weil die Erledigung kleiner Aufgaben ebenfalls eine schnellere Belohnung verspricht. Dan Ariely, Professor für Psychologie und Verhaltensökonomie an der Duke University, weiss nur zu gut um diese Fallen. Er empfiehlt deshalb, die produktivste Zeit des Tages bewusst für anspruchsvollere Aufgaben zu nutzen anstatt sich in Details zu verlieren, sowie bewusst Zeit einzuplanen für Projekte, die einen langen Atem verlangen. Denn wer nie damit beginnt, wird auch nie die Früchte ernten können. Ariely empfiehlt in seinem Artikel für das Online-Magazin „The Muse“, den „Big Stone“ in mehrere kleine Teilaufgaben zu strukturieren. 

Es ist mehrfach erwiesen: Menschen als auch Unternehmen sind viel erfolgreicher und zufriedener, wenn sie einem langfristigen Denk- und Handlungshorizont folgen.  Das Lebensmotte für 2019 könnte also lauten: Lieber die kleinen Fische vorbeiziehen lassen, um später den grossen Wal an Land zu ziehen.