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In guten wie in schlechten Händen

Veröffentlicht am 23.05.2019 von Manuela Specker - Bildquelle: GettyImages
In guten wie in schlechten Händen

Der Händedruck ist eine unscheinbare Geste, die aber den ersten Eindruck im Berufsleben entscheidend prägt

Die Vorgesetzte reicht dem Bewerber die Hand, neue Mitarbeitende werden auf diese Weise begrüsst, und der Handschlag besiegelt den Vertragsabschluss: Über Jahrhunderte hinweg hat sich hierzulande der Händedruck als unaufdringlicher Bestandteil sozialer Interaktion bewahrt. Einst diente er dazu, dem Gegenüber zu signalisieren, in friedvoller Absicht und somit ohne Waffe in den Händen zu handeln. Heute ist er eine Geste, mit der perfekt zwischen Nähe und Distanz changiert werden kann. Sie erfolgt oft automatisiert und unreflektiert – doch kann sie einiges über das Gegenüber, einen selber oder die Situation verraten. Forschende der University of Manchester fanden tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Art des Händedrucks und der Arbeitsweise: Jene mit einem festen Händedruck sollen über bessere Problemlösungs-, Argumentations- und Gedächtnisfähigkeiten sowie schnellere Reaktionszeiten verfügen. Doch Experten warnen vor voreiligen Schlüssen: „Menschliches Verhalten sowie Fähigkeiten sind niemals eindimensional, bei Ursache und Wirkungsfragen sind Störvariablen stets vorhanden", so die Psychologin Karin Flenreiss-Frankl gegenüber der Nachrichtenagentur pressetext.

Der Händedruck in Literaturklassikern
Das Fiese ist, dass all diese Faktoren nicht berücksichtigt werden können, wenn es darum geht, rasch einen ersten Eindruck zu gewinnen. Wer also an einem Bewerbungsgespräch kraftlos die Hand des Gegenübers schüttelt, löst kaum positive Assoziationen aus. Auch feuchte, schwitzige Hände sind für beide Seiten unangenehm, obwohl dies nichts über die Arbeitsweise oder die Persönlichkeit verrät. Wer sich beim Händedruck allzu sehr auf gängige Interpretationsmuster verlässt, läuft Gefahr, das Gegenüber vorschnell zu schubladisieren. Dass so eine simple Geste wie der Händedruck Quell grosser Missverständnisse sein kann, führt Goethe in seinem Werk „Die Leiden des jungen Werther“ vor Augen. „Ach ich wusste, dass du mich liebtest, wusste es an den ersten seelenvollen Blicken, an dem ersten Händedruck“, fiebert Werther im Liebeswahn, in Gedanken bei Lotte. Bekanntlich eine Fehlinterpretation mit tödlichen Folgen. Die starke symbolische Bedeutung des Händedrucks findet sich auch in der Faust-Tragödie (1.Teil) des Dichters. „Lass diesen Händedruck dir sagen, was unaussprechlich ist“, schmachtet Faust seine Margarete an. Nur ein paar Seiten später ist es Gretchen, die, von der Liebe zu Faust ergriffen, voller Sehnsucht an dessen Händedruck zurückdenkt.

Entscheidend für Sympathie oder Antipathie ist weniger, wer wie die Hände drückt, sondern ob die beiden Parteien, die sich die Hände geben, übereinstimmen in Bezug auf Druck und Dauer. Alleine das Verhältnis zwischen den beiden Parteien entscheidet die Interpretation – die Geste alleine betrachtet ist immer mehrdeutig. Ein Beispiel: Wenn die eine Person neben der rechten auch die linke Hand zum Händeschütteln reicht und somit die Hand des Gegenübers von beiden Seiten her umfasst, kann das Ausdruck grosser Sympathie sein. Es kann aber auch für paternalistische Fürsorge stehen. Dasselbe gilt, wenn beim Händeschütteln gleichzeitig der Arm des Gegenübers berührt wird. Passiert das automatisch, symbolisiert diese Geste oft ehrliche Zuneigung. Geschieht dies aber ganz bewusst, kann das auch als übergriffig empfunden werden. Die weit verbreiteten Händeschüttel-Typologien helfen nicht wirklich weiter – es kommt auf den Kontext an und auf die Art und Weise, wie die beiden Menschen, die sich die Hand geben, zueinander stehen.

Händeschütteln als Symbol der Macht
Gerade in der Politik ist der Händedruck eine Geste, deren symbolischer Charakter ganz bewusst eingesetzt wird. Als Emmanuel Macron in seiner neuen Funktion als französisches Staatsoberhaupt erstmals dem US-Präsidenten Donald Trump gegenübertrat, hatte er dessen Hand besonders lange und fest gedrückt. Er wollte sich damit Respekt verschaffen; dieser Händedruck sei nicht ohne Hintergedanken gewesen. „Man muss zeigen, dass man keine kleinen Zugeständnisse macht, nicht einmal symbolisch", liess Macron verlauten.

Eines der grossen Rätsel der Menschheit bleibt, warum ranghohe Politikerinnen und Politiker ihre medial begleitete Begrüssung bisweilen so gestalten, als würde zwischen ihnen eine amouröse Verbindung bestehen oder zumindest eine tiefe Freundschaft. Der frühere französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy herzte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel jeweils intensiv und stiess damit durchaus auf Gegenliebe. Zwischen den beiden fehlte eigentlich nur noch der sozialistische Bruderkuss. Bei so viel zur Schau gestellter Nähe unter Mächtigen und demonstrativer Eintracht sehnt man sich geradezu nach dem guten, alten Handschlag zurück.