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Karriere? Nein danke!

Veröffentlicht am 24.02.2018 von Manuela Specker
Karriere? Nein danke!

Es braucht Mut, auf gewisse Karriereschritte zu verzichten. Weshalb es sich trotzdem lohnen kann.

 
Er hat immer hart gearbeitet, war immer verlässlich und galt als Motor im Team der Controller. Als einer, der mit seinem Enthusiasmus auch die anderen antreibt. Das Beförderungsangebot in eine Führungsposition war also nur noch eine Frage der Zeit. Doch er schlug aus – zum Erstaunen aller. Seine Argumentation: Nehme er die Führungsposition an, habe er immer weniger mit seinen Kernaufgaben zu tun. Und die seien es schliesslich, die ihn erfüllen. Stattdessen gelte es plötzlich, sich um die Probleme anderer zu kümmern, Strategiepapiere zu erarbeiten und viel Zeit an Sitzungen zu verbringen. Das hat er zur Genüge bei seinem eigenen Chef beobachtet, in dessen Fussstapfen er nun treten sollte.
 
Es ist dies eine Überlegung, wie sie in einer solchen Situation wenige Mitarbeitende anstellen. Denn das Angebot, künftig personelle Verantwortung zu übernehmen, ist immer auch schmeichelhaft. Wer will da schon ablehnen? Doch es lohnt sich, nicht einfach den ersten Impulsen zu folgen, sondern sich genau zu überlegen, wie sich dadurch die eigene Arbeit verändern wird – und ob man bereit ist, mehr Führungs- statt Sachaufgaben zu übernehmen. Je nach Hierarchie kann dies auch bedeuten, sich zwangsläufig von den Arbeitskollegen distanzieren zu müssen, um den Rollenerwartungen als Vorgesetzter gerecht zu werden. 
 
Das betont auch der Psychoanalytiker Hans-Werner Rückert. "Jenseits der Erfolgspropaganda unserer Zeit wird völlig vernachlässigt, dass Karrieren auch ihren Preis haben. Wer sich exponiert, wird auch angreifbar. Für Leute, die Chef-Positionen erhalten, ist es schmerzlich zu erfahren, dass damit auch ein gewisses Mass an Einsamkeit verbunden sein kann“, sagte er gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“.
 
Eine Beförderung ist also längst nicht in jedem Fall ein Segen. Sich dies in einer leistungsorientierten Gesellschaft einzugestehen, setzt allerdings voraus, die eigenen Bedürfnisse genau zu kennen – und vor allem zu registrieren, wenn sie sich verändern. War man zwischen 20 und 35 noch voll auf den Job fixiert und damit beschäftigt, eine hohe Leistung zu erbringen, will man später vielleicht lieber mehr Zeit für das Privatleben. Aber Führungsposition hin- oder her: Nur schon in dieser Situation einen Schritt zurückzutreten und vom Gas zu gehen, kann ein wahrer Kraftakt sein. Denn je nach Firma, wo man gerade arbeitet, gilt dies bereits als Karriere-Kapitulation. Dabei ist eine „Karriere“ nie einfach nur mit dem Aufstieg auf der Karriereleiter gleichzusetzen – und schon gar nicht damit, Führungsverantwortung übernehmen zu müssen.
 
Wie absurd dieser Leistungsdruck sein kann, zeigen die beiden Psychologen Volker Kitz und Manuel Tusch in ihrem Buch „Ich will so werden wie ich bin“ auf.  Wer einfach seine Arbeit verrichte, anstatt ständig über sich selber hinaus zu wachsen, gelte bereits als „Low Performer“ oder als einer, der „Dienst nach Vorschrift“ verrichtet. Entlarvend seien auch die Zielsetzungen, die oft nach dem Prinzip funktionieren, jedes Jahr die Arbeitslast noch ein bisschen zu erhöhen. Wer in diesem Zirkus einfach mitmacht und sich nie mehr fragt, ob dies tatsächlich den eigenen Bedürfnissen entspricht, gerät schnell in ein Hamsterrad und lässt sich von äusseren Erwartungen leiten.
 
Auf sich anstatt auf andere zu hören, ist allerdings leichter gesagt als getan. Denn es spielt immer auch die Gruppenidentität mit hinein: Wer zum Beispiel ein bestimmtes Studium absolviert hat, von dem wird erwartet, dass er gewisse Karriereschritte unternimmt. Und wenn das alle im eigenen Umfeld tun, braucht es Selbstvertrauen, auszuscheren. Hinzu kommt, dass die Arbeit in den heutigen Zeiten eine sinnstiftende Funktion hat: sie soll glücklich machen, und sie soll herausfordern. Eben diese Erwartungshaltung führt aber oft erst recht ins Unglück – oder ins Jobhopping, in der Hoffnung, im neuen Job werde alles besser, nur um dann festzustellen, dass die Probleme irgendwie überall dieselben sind.
 
Der Rat ist so simpel wie nützlich: Arbeitnehmende müssen lernen, auch einmal Nein sagen zu können. Und sie sollten sich immer ins Bewusstsein rufen, dass sich ihre Bedürfnisse verändern können und es deshalb keine vorgespurten Karrierepfade gibt, an die sie sich zwingend halten müssen.


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