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Pendeln gefährdet die Gesundheit

Veröffentlicht am 16.08.2015
Lange Wegstrecken - Pendeln gefährdet die Gesundheit - myjob.ch
Lange Wegstrecken zur Arbeit können eine grosse Belastung darstellen. Was sind die Auswege?
Stau, verpasste Anschlüsse, vernachlässigtes soziales Umfeld: Langstreckenpendler nehmen für ihren Job viele  Strapazen in Kauf. Das kann sich rächen.
 
Von Manuela Specker

Für einmal kann sich glücklich schätzen, wer zum Durchschnitt gehört: Arbeitnehmende brauchen im Mittel eine halbe Stunde, um von ihrem Wohnort den Arbeitsplatz zu erreichen. Aber bereits jeder zehnte Pendler ist pro Wegstrecke mehr als eine Stunde unterwegs. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 betrug dieser Anteil lediglich 2,5 Prozent, wie der Bericht „Pendlermobilität in der Schweiz 2013“ des Bundesamtes für Statistik zeigt. Es werden also für den Arbeitsweg immer weitere Wege in Kauf genommen.
 
Vor allem wer sich zwischen den grössten Städten bewegt, kann dies als enorm stressig empfinden. So pendeln beispielsweise von Zürich sowie von Luzern nach Bern rund 3,5-mal mehr Personen als noch im Jahr 2000. Dass sich Pendlerströme immer stärker auf Grossagglomerationen konzentrieren, liegt auf der Hand. Gerade Firmen aus dem Dienstleistungssektor siedeln sich bevorzugt an zentralen Orten wie Zürich, Genf, Bern oder Basel an. Engpässe sind also programmiert – und diese sind, neben dem Zeitfaktor, einer der Hauptgründe, warum ab einer gewissen Distanz das Pendeln auf Dauer zur Tortur wird und sogar die Gesundheit in Mitleidenschaft ziehen kann.
 
Diverse Untersuchungen zeichnen geradezu ein dramatisches Bild: Sie lassen den Schluss zu, dass Pendler häufiger unter Kopf-, Rücken- und Magenschmerzen leiden. Auch Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlafstörungen scheinen durch das Pendeln begünstigt zu werden. Pendler sollen tendenziell gereizter sein und sich bei der Arbeit schlechter konzentrieren können.
 
Besonders schlimm scheint der Verlust der Kontrolle über den eigenen Zeitplan zu sein. Wer zu den langen Pendelzeiten noch jederzeit mit Stau rechnen muss, ist einem Stress ausgesetzt, der zwangsläufig auf die Gesundheit und das Wohlbefinden schlägt. Immerhin 53 Prozent der Arbeitspendler in der Schweiz sind gemäss dem Bericht „Pendlermobilität“ vor allem mit dem Auto unterwegs. Aber auch Zug fahren kann stressen – bei verpassten Anschlüssen, oder wenn sich die sowieso lange Pendeldauer durch Verspätungen zusätzlich verlängert.
 
Der britische Psychologe David Lewis stellte fest, dass schon leichte Zugverspätungen die Pulsfrequenz von Pendlern auf die von Fallschirmspringern ansteigen lässt. Was auch gerne unterschätzt wird: Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln pendelt und dadurch mit vielen anderen Menschen in Kontakt kommt, erkältet sich häufiger und bekommt schneller einen grippalen Infekt. Das Pendeln kann auch dem Umfeld zu schaffen machen. Je länger jemand pendelt, desto weniger Zeit bleibt für Familie und Freunde. Und die Langstreckenpendler wissen aus eigener Erfahrung: Erreichen Sie nach der Arbeit ihr Zuhause, wollen sie sich lieber ausruhen statt aktiv etwas zu unternehmen.
 
Aber wie so oft lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen anstatt die Reiserei pauschal zu verteufeln. Natürlich kann sich glücklich schätzen, wer sich beruflich in seiner Wohngemeinde oder ganz in der Nähe verwirklichen kann. Wer aber durch das Pendeln mit einem spannenden, befriedigenden Job entlohnt wird, dürfte, solange es am Arbeitsplatz stimmt, kaum unter der Reiserei leiden. Auch flexible Arbeitszeiten machen es den Pendlern leichter – vor allem, wenn sie ab und zu von zu Hause aus arbeiten können.
Pendeln wird vor allem dann zum Problem, wenn es eine Zusatzbelastung darstellt – zu einem Job, der sowieso schon stresst, zu einem Arbeitsklima, das vergiftet ist. Entscheidend ist auch, ob das Pendeln freiwillig geschieht. Es macht einen grossen Unterschied aus, ob jemand das Landleben geniesst und die Fahrt zur Arbeit bzw. den Nachhauseweg als Gelegenheit nutzt, abschalten zu können. Oder ob jemand weit weg vom Arbeitsplatz leben muss, weil er sich die Mietpreise nicht leisten kann oder weil der Partner am anderen Ende der Schweiz arbeitet.
 
 
Das hilft gegen die Pendel-Strapazen:
  • Versuchen Sie, dem Pendeln Positives abzugewinnen: Wer pendelt, kann Beruf und Privatleben besser trennen. Und wer die Reisezeit sinnvoll nutzen kann, fühlt sich besser.
  • Wenn Sie mit dem Auto unterwegs sind: Suchen Sie sich einen Mitfahrer oder eine Mitfahrgelegenheit. Die Unfallgefahr nimmt nachweislich ab, und Sie fahren erst noch günstiger. Finden Sie heraus, zu welcher Zeit Sie am ehesten Stau vermeiden können, und fahren Sie entsprechend früher oder später los, sofern der Job diese Flexibilität erlaubt.
  • Wenn Sie mit dem Zug unterwegs sind: Vertiefen Sie sich in Lektüre. Lesende Pendler haben weniger Mühe mit langen Zugfahrten. Oder warum die Zeit in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht dazu nutzen, eine Fremdsprache zu erlernen oder sich anderweitig weiterzubilden? Wenn es der Job zulässt: Nutzen Sie die Zeit im Zug als Arbeitszeit. Wenn Sie während des Pendelns umsteigen müssen, überlegen Sie sich eine Alternative, die vielleicht etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt, aber dafür das Umsteigen erspart.

Foto: Gaetan Bally/Keystone