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Unser täglicher Störfaktor

Veröffentlicht am 29.11.2019 von Manuela Specker - Bildquelle: GettyImages
Unser täglicher Störfaktor

Es lenkt ab und schmälert die Gedächtnisleistung:  Wie das Smartphone die Arbeitsweise umkrempelt.

Das Smartphone ist zur unhinterfragten Gewohnheit geworden. Es weist den Weg, verrät die Wetterprognose, lädt zum Gamen ein und ruft das online verfügbare Wissen in Sekundenschnelle ab. Telefonieren ist längst Nebensache. Das hat auch Folgen für die Gewohnheiten am Arbeitsplatz. Gerade wenn angestrengtes Denken gefragt wäre, ist der Griff zum Mobiltelefon umso verführerischer, weil es schnelle Belohnung ohne Anstrengung verspricht – sei es, weil sich eine WhatsApp-Nachricht angekündigt hat oder weil die „Likes“ des eigenen Social-Media-Posts für Dopamin-Schübe sorgt. Das geht nicht nur auf Kosten der Produktivität, es mindert auch die sogenannten „Flow“-Erlebnisse, also die Fähigkeit, sich mehrere Stunden gedankenversunken einer Aufgabe widmen zu können. Das hat natürlich genauso mit Unterbrüchen durch Sitzungen zu tun oder mit der Tatsache, dass die wenigsten heutzutage über ein Einzelbüro verfügen, indem sie sich stundenlang auf eine Sache konzentrieren können. Aber die Unterbrüche durch das Smartphone haben eine ganz andere Dimension erfahren: Nun sind es die Betroffenen selber, die ständig für Unterbrüche sorgen.

Hirnstrukturen verändern sich
Was viele nicht wissen: Die Dauerbeschäftigung mit dem Smartphone kann sich negativ auf die Gedächtnisleistung auswirken. Es mehren sich Untersuchungen, die zu exakt diesem Schluss kommen.  Jene, die das Smartphone täglich viel nutzen, tendieren eher zum schnellen statt zum analytischen Denken und ziehen voreilige, falsche Schlüsse, wenn sie eine Denksportaufgabe lösen müssen, stellte ein Forschungsteam von der University of Waterloo fest. Eine umfassende Studie an britischen Schulen mit über 100'000 Probanden konnte nachweisen, dass Schülerinnen und Schüler, die an der Schule einem Smartphone-Verbot ausgesetzt waren, in den Tests im Durchschnitt 6 Prozent besser abschnitten als jene, die sich keinem Verbot stellen mussten.

Wie bei jeder Studie stellt sich immer auch die Frage nach Kausalität und Korrelation, aber dass ein Smartphone, das permanent in Griffnähe ist, Zerstreuung und Ablenkung begünstigt, ist nicht weiter verwunderlich. Vor allem sind die Veränderungen, die damit in der Gehirnstruktur einhergehen, messbar. Bekannt ist das Beispiel der Taxifahrerinnen und Taxifahrer Londons, die sich per Navigationsgerät zum Ziel führen lassen: Mittels Kernspintomografie konnte ermittelt werden, dass ihr Hippocampus schwächer ausgebildet ist als bei jenen Taxifahrenden, die ohne Navigationsgerät unterwegs sind; diese bilden im Gehirn automatisch eine mentale Repräsentation von London ab. Ebenfalls mehrfach bestätigt ist die Tatsache, dass die Aufmerksamkeit für das Gegenüber abnimmt, wenn ein Handy in Griffnähe herumliegt. Der US-amerikanische Psychologe Adrian F. Ward kommt sogar zum Schluss, dass bereits ein Handy in Sichtweite das Arbeitsgedächtnis so stark in Beschlag nimmt, dass dieses Gedächtnis in anderen Bereichen weniger zum Einsatz kommt.

Die Lösung liegt auf der Hand. Statt sich vom Smartphone kontrollieren zu lassen, gilt es, die Kontrolle über das Gerät zurückzugewinnen. Die Massnahme am Arbeitsplatz ist denkbar einfach: Es darf nicht in Reichweite sein, oder es muss zumindest in den Flugmodus gestellt oder gleich ganz abgestellt werden. Wer es zusätzlich schafft, sich auch auf dem Pendelweg nicht vom Smartphone dominieren zu lassen, befindet sich auf einem guten Weg, die Abhängigkeit von der Dauerberieselung zu reduzieren – und die Chance auf „Flow“-Erlebnisse zu erhöhen.

Grosses Suchtpotenzial
Was einfach klingt, ist noch lange nicht in der Realität angekommen. Ob im Zug, im Tram oder an der Bushaltestelle: Wer nicht in sein Mobiltelefon blickt, gehört mittlerweile einer Minderheit an. Selbst bei Menschen, die sich in vermeintlich trauter Zweisamkeit in einem Restaurant befinden, kann es vorkommen, dass der eine Löcher in die Luft starrt, während der andere minutenlang mit seinem Telefon beschäftigt ist. Forschende fanden im Rahmen des deutschen „Menthal-Balance“-Projektes heraus, dass die rund 60'000 Smartphone-Nutzenden, die sich freiwillig an der Studie beteiligten, durchschnittlich 88 Mal pro Tag das Smartphone checkten: 35 Mal, um die Uhrzeit zu erfahren oder um zu prüfen, ob eine Nachricht eingegangen ist. 53 Mal, um zu surfen, zu chatten oder eine App zu nutzen. Bei einer angenommenen Nachtruhe von 8 Stunden bedeutet das, dass die Betroffenen also alle 11 Minuten auf ihr Mobiltelefon starren.