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«Dann sind sie plötzlich weg vom Fenster»

Veröffentlicht am 04.03.2012
Dann sind sie plötzlich weg vom Fenster - myjob.ch
Wie sich über 50-Jährige besser auf dem Arbeitsmarkt positionieren. Ist die Jobsuche für ältere Arbeitnehmende tatsächlich schwieriger? Die Outplacement-Beraterin Brigitte Reemts Flum räumt mit Mythen auf – und sagt, wie eine Neuorientierung möglichst reibungslos gelingt. - von Manuela Specker -
Es gibt viele Gründe für über 50-Jährige, im alten Job auszuharren: Die Hoffnung, dass sich die Zustände von alleine bessern; die Annahme, dass es anderswo nicht besser ist oder dass man weniger verdienen wird; und natürlich der Glaube, man sei zu alt, um eine neue Stelle zu finden. Stehen sich die älteren Arbeitnehmer bei der beruflichen Neuorientierung selber im Weg?

Brigitte Reemts Flum*: Das kann man so sagen. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich viele nicht mit dem Thema auseinandersetzen und von vorneherein denken, die Stellensuche für Leute über 50 sei schwierig. Solche Ängste verschwinden erst, wenn sie sich bewusst machen, dass sie in diesem Alter ein ganz anderes Profil haben als 30-Jährige, und dass sie sich entsprechend positionieren müssen. Mein Geschäftspartner Toni Nadig (60) beispielsweise und seine Tochter (32) sind beides promovierte Neuropsychologen. Er versteht aber nichts von moderner Hirnforschung, während sie wenig Ahnung hat von Wirtschaft. Trotz gleicher Ausbildung verfügen beide über ein anderes Profil. Wer sich deshalb beruflich neu orientieren will, muss sich seiner Kompetenzen genau bewusst sein.

Und wenn die Veränderung nicht freiwillig geschieht?

Heute gibt es keine Situation mehr, die auf längere Sicht keinen Veränderungsbedarf aufweist. Gerade über 50-Jährige zeigen gegenüber dem Arbeitgeber oft eine grosse Loyalität. Doch sie können keinesfalls damit rechnen, im gleichen Unternehmen pensioniert zu werden. Deshalb sollten sie sich regelmässig fragen, ob sie noch dem Profil der Stelle entsprechen, und ob die Stelle mit den eigenen Werten und Vorstellungen übereinstimmt. Viele, die entlassen werden, realisieren oft gar nicht, wie sehr sich die Anforderungen in den letzten Jahren verändert haben. Dann sind sie plötzlich weg vom Fenster.

Ist es nicht auch Aufgabe der Firma, Mitarbeitende zu fördern?

Bis zu einem gewissen Grad schon. Aber primär sollte sich jeder selber überlegen, ob man sich noch auf dem richtigen Zug befindet. Der Job ist ein wichtiger Teil vom Leben, entsprechend gross sollte die Selbstverantwortung sein. Wir stellen immerhin fest, dass immer mehr Firmen Standortbestimmungen mit bestehenden Mitarbeitenden machen und nicht erst, wenn sie Leute entlassen. Das liegt in ihrem ureigenen Interesse – welche Firma will schon mit halbmotivierten Mitarbeitern funktionieren?

In manchen Firmen werden ältere Mitarbeiter aber tatsächlich nicht geschätzt, sondern frühpensioniert oder vorzeitig entlassen.

In Bezug auf die Frühpensionierungen zeichnet sich ein Wandel ab. Immer weniger Firmen können es sich überhaupt leisten, Frühpensionierungen mitzufinanzieren. Stattdessen werden Mitarbeitende entlassen. Doch auch hier kann man sagen, dass alleine aufgrund der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels ein Umdenken stattfindet und versucht wird, das Know-how in der Firma zu behalten. Das äussert sich in Modellen wie Altersteilzeit oder längeren Ferien für ältere Mitarbeitende.

Ist also die Jobsuche für über 50-Jährige nicht mehr unbedingt schwieriger?

Das Problem ist nicht einfach gegeben, sondern hat viel damit zu tun, wie sich jemand positioniert. Natürlich dauert es für ältere Mitarbeitende oft länger, bis sie einen Job gefunden haben. Für sie ist es besonders wichtig, sich auch auf dem verborgenen Stellenmarkt umzusehen statt zu warten, bis ein Inserat sie anspringt.

In Ihrem neuen Buch «Mit Erfahrung punkten» raten Sie älteren Mitarbeitenden, die berufliche Neuorientierung zurückhaltend anzugehen und nicht den erstbesten Job anzunehmen. Das ist nicht immer einfach auszuhalten; manchmal ist das Bedürfnis nach Sicherheit grösser.

Das erleben wir in der Beratung immer wieder. Doch es ist wichtig, eine solche Phase auch einmal auszuhalten statt immer atemlos durch das Leben zu hecheln. Das bringt einen auch persönlich weiter. Aber ich gebe zu: Es ist schwierig, und so manch einer will diese Phase der Unsicherheit so schnell wie möglich beenden. Unsere Erfahrung zeigt jedoch, dass, wer zu schnell Kompromisse eingeht, vom Regen in die Traufe kommt.

Was sind aus Ihrer Sicht die entscheidenden Voraussetzungen, damit ältere Arbeitnehmer beruflich dort landen, wo sie auch tatsächlich hin möchten?

Netzwerken ist ein entscheidender Faktor. Damit ist nicht gemeint, Bekannte anzurufen und um einen Job zu betteln, sondern gezielt Informationen über Branchen und Firmen zu sammeln, die einen interessieren. Zudem ist es von Vorteil, sich mit seinen Wünschen, Werten, Fähigkeiten und Kompetenzen auseinanderzusetzen, bevor einem eine Neuorientierung von aussen aufgezwungen wird.

* Die Philosophin Brigitte Reemts Flum ist Partnerin und Teilhaberin der auf Outplacement spezialisierten Firma Dr. Nadig + Partner AG.

Buchhinweis: Brigitte Reemts Flum/Toni Nadig: Mit Erfahrung punkten. Berufliche Neuorientierung mit 50+. Verlag Orell Füssli, 2011.