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Wir müssen reden

Veröffentlicht am 29.11.2018 von Jörg Buckmann - Bildquelle: Thinkstock
Wir müssen reden

Vorweihnachtszeit ist in vielen Firmen Jahresgesprächszeit; eine Tortur für alle Beteiligten. Doch es geht auch anders.

Mitten im Jahresendspurt müssen jetzt auch noch die Mitarbeitergespräche abgearbeitet werden. Ein Ritual seit Jahren. Da werden dann landauf, landab wieder Noten verteilt was das Zeug hält und die einzelnen Fähigkeiten der Mitarbeitenden fein säuberlich mit Buchstaben von A bis E oder 1 bis 5 bewertet. Wie früher in der Primarschule. Damit diese Gespräche auch richtig ablaufen, gibt es für die Chefinnen und Chefs oft einen Leitfaden mit vielen Hintergrundinformationen, Tipps und Ausfüllhinweisen. Langweilige Dokumente, oft dutzende von Seiten lang. Das ist eine Bevormundung erwachsener Menschen, das ist eine Geringschätzung der Führungspersonen. Kurz: das ist total verrückt.

Noch immer huldigen tausende Firmen diesem Ritual und alle erdulden es: Vorgesetzte, Mitarbeitende, die Personalabteilung. Mittlerweile werden die Gespräche oft direkt am PC eingegeben, damit die Mitarbeitenden präzise vermessen und die Erkenntnisse auch schön ausgewertet werden können. Und ausserdem geht man ja mit der Digitalisierung: Kurven, Diagramme, Verhältniszahlen. Da fliegt sofort auf, wer in seiner Abteilung die Gauss’sche Sollverteilung verfehlt. Wehe!

Im Jahresgespräch geht es oft nicht wirklich um die Mitarbeitenden und ihre Entwicklung. In den letzten Jahren wurde es regelrecht kaputtinstrumentalisiert. Aus dem Feedback- und Entwicklungsgespräch wurde eine eierlegende Wollmilchsau, verantwortlich für: Messung von Leistung und Verhalten, Vereinbaren neuer Projekte, Schwerpunkte und Ziele, Gegenseitiges Feedback und Wertschätzung, Entwicklung und entsprechende on- und off-the-job- Fördermassnahmen, Lohnsteuerung und Bonus Datenbasis für Skills und die strategische Personalentwicklungsplanung, Grundlagen für das Erstellen der Arbeitszeugnisse

Ein administratives Monster wurde geboren mit Formularen, Handbüchern, Trainings und IT-Systemen. Dabei wäre doch gerade in Zeiten der Digitalisierung Agilität gefragt. Die klassische Systematik der Mitarbeitendenbeurteilung kommt mit dem Tempo der heutigen Arbeitswelt nicht mehr mit. Das Vereinbaren und Messen von Zielen im 12 Monats-Rhythmus wird von der Realität überholt. Doch es regt sich Widerstand. Es regt sich der gesunde Menschenverstand und bei den ersten Unternehmen eine Rückkehr zum Normal. Unter ihnen das Kinderspital Zürich.

Mitarbeitergespräche mit individuellen Themenkarten
Im Kinderspital Zürich sind die Schulnoten für Mitarbeitende passé, nicht aber die Gespräche. Die sind wichtiger denn je. «Schranken und Vorgaben abschaffen und trotzdem eine Hilfestellung für das Jahresgespräch geben». So beschreibt Désirée Nater vom Kinderspital Zürich eine der Knacknüsse, die sie zu lösen hatte. Sie fand einen kreativen Ansatz mit viel Spielraum. So wurde aus der Mitarbeiterbeurteilung mit Zielvereinbarung und einer Benotung von A bis D ganz einfach das «Standortgespräch». Die Notengebung ist damit ebenso Geschichte wie das (krampfhafte) Suchen nach (vermeintlich) smarten Zielen.

Jetzt unterstützen Themenkarten die Gesprächsführung. Aus einem Set an 25 Gesprächsthemen suchen sich die Führungskräfte jene aus, welche individuell auf das anstehende Gespräch mit der Mitarbeiterin passen. Also zum Beispiel Vorbild, Beziehungen oder Feedback. Auf der Rückseite der Karten helfen Beschreibungen (Indikatoren), das Thema noch besser zu verstehen. Vorgaben darüber, welche und wie viele Gesprächskarten verwendet werden sollen, gibt es keine. So werden die Standortgespräche höchst individuell.  Aus den Zielen wurden im Kinderspital ganz einfach Themenschwerpunkte. Sie werden gemeinsam für das Folgejahr vereinbart. Welche das sind, hängt von den Stärken oder Schwächen des Mitarbeiters ab, von anstehenden Projekten in den jeweiligen Abteilungen und von den Zielen der Geschäftsleitung, die jährlich einen Themenschwerpunkt vorgibt. Das neue System wurde in einem Pilotversuch getestet. Es kam ausgezeichnet an und wird nun breit ausgerollt.

Zurück in die Zukunft
Nicht erst jetzt zählt die Personalführung zu den wichtigsten Bewerbermagneten. Gerade die neue Fachkräftegeneration sehnt sich nach Feedback. Auch ein gerütteltes Mass an Freiräumen und die Sinnhaftigkeit des Tuns stehen auf den Wunschzetteln weit oben. Ein offen gestaltetes, zeitgemässes Mitarbeitergespräch, das einen Dialog auf Augenhöhe zulässt, unterstützt dies. Es macht ein souveränes Führungsverständnis konkret. Denn weder Vorgesetzte noch ihre Mitarbeitenden brauchen eng geschnürte Korsetts und stehen auf knallharte Vorgaben, detaillierte Benotungsvorgaben und entwürdigende Krücken in Form von vielen Seiten starken Gesprächsleitfäden.