Immer erreichbar zu sein schadet nicht nur der Gesundheit, sondern auch der Karriere
Von Manuela Specker
„Achtsamkeit“: Dieser Begriff tauchte bis vor fünf Jahren kaum jemals auf, mittlerweile ist er zu einem festen Bestandteil des Vokabulars geworden. Der Zukunftsforscher Matthias Horx macht sogar einen Trend aus. In der Arbeitswelt äussere sich dieser Trend, indem immer mehr Menschen sich coachen lassen, indem sie ihr Stresslevel im Auge behalten oder indem Unternehmen sogar eigene „Achtsamkeitsbeauftragte“ einsetzen.
Denn dass die permanente Berieselung durch Computer, Smartphone und Tablet der Konzentrationsfähigkeit und der Gesundheit schaden kann, ist mittlerweile unbestritten. Heute ernte Anerkennung, wer bewusst Boxenstopps einlegt. "Es ist ein Reflex, ein Gegenimpuls gegen die Erregungskultur", so Horx. Dieser Gegenimpuls könne sich durch eine Änderung der Nutzung von Smartphones oder sozialen Medien ausdrücken; Horx spricht treffend von einer „digitalen Diät“. Er stellt aber auch fest, dass immer mehr Arbeitnehmende bewusst nach mehr Gelassenheit suchen, beispielsweise durch Yoga, Meditation oder Stressvermeidung.
Die „digitale Diät“ ist aber nicht damit zu verwechseln, klar zwischen Freizeit und Job trennen zu wollen. Wer mit E-Mails & Co. einen gesunden Umgang pflegt, ist nicht zwangsläufig gestresster, wenn er spätabends noch eine Geschäftsantwort schreibt, im Gegenteil. Das ist nämlich eines der grossen Missverständnisse rund um die Erreichbarkeitsdiskussionen: Zwei Drittel aller Betroffenen stört es gar nicht, wenn sie auch in der Freizeit für geschäftliche Belange erreichbar sind, wie eine repräsentative Befragung des deutschen Marktforschungsinstitutes Forsa ergab.
Ist nämlich die damit einhergehende Flexibilität nicht nur zugunsten des Arbeitgebers, sondern auch des Arbeitnehmers, bedeutet die Vermischung von Beruf und Privatleben nicht automatisch Stress. Je nach Jobanforderungen wäre es für viele stressiger, wenn sie ausschliesslich von einem fixen Arbeitsplatz aus im Büro arbeiten könnten anstatt auch einmal zu Hause eine Sitzung vorzubereiten oder eine Projektzusammenfassung zu schreiben. Zum Problem wird diese Vermischung erst, wenn der Arbeitnehmer seine Bedürfnisse immer hinten anstellen muss – er also zum Beispiel oft spätabends noch E-Mails beantwortet, aber am nächsten Tag Probleme mit dem Vorgesetzten kriegt, weil er um 11 Uhr einen Zahnarzttermin wahrnimmt.
Problematisch sind die verschwindenden Grenzen von Beruf und Privatleben auch dann, wenn jemand keine Grenzen ziehen und nicht mehr abschalten kann. Die Möglichkeit, nahezu jederzeit online zu sein, hat diese Gefahr zweifellos erhöht. Aber wie der Trendforscher Matthias Horx feststellt, hat sich eine Gegenbewegung formiert, die von Zeit zu Zeit bewusst auf eine „digitale Diät“ setzt.
Das kann der eigenen Karriere sogar förderlich sein: Wer immer sofort auf E-Mails antwortet, erweckt den Eindruck, nicht richtig beschäftigt zu sein oder sich nicht mehr auf eine Sache konzentrieren zu können. Hinzu kommt, dass bewusste Auszeiten von der digitalen Welt helfen, den Blick fürs Wesentliche nicht zu verlieren, Dinge einordnen zu können und Schlussfolgerungen zu ziehen anstatt sich im Informationsfluss zu verlieren.
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