Das Arbeiten in den eigenen vier Wänden hat noch immer einen schweren Stand. Weniger Pendelstress, mehr Autonomie, mehr Flexibilität: Die Vorteile der gelegentlichen Telearbeit liegen auf der Hand. Trotzdem sind die Vorbehalte gross – sowohl bei Firmen wie bei Mitarbeitenden.
- von Manuela Specker -
Am 13. Juni ist wieder Home Office Day. An diesem Tag sind Mitarbeitende dazu aufgerufen, von zu Hause aus zu arbeiten, sofern es ihr Arbeitsinhalt zulässt und der Arbeitgeber diese Aktion unterstützt. Heuer scheint ein solcher Tag, der das Thema ins Bewusstsein rufen soll, nötiger denn je. Das Home-Office hat in den letzten Monaten eher Rückschläge erfahren, als dass es auf breiter Basis propagiert worden wäre. Verantwortlich für die negativen Schlagzeilen ist ausgerechnet die Chefin eines Internetunternehmens – einer Branche also, die normalerweise den anderen einen Schritt voraus ist. Die Yahoo-Vorsitzende Marissa Meyer hat dem Home-Office kurzerhand den Garaus gemacht: Sie beorderte die Angestellten wieder permanent ins Büro zurück und argumentierte, dass beim Arbeiten in den eigenen vier Wänden sowohl die Produktivität wie die Qualität leide.
Doch weder das Tempo der Arbeit noch die Qualität des Outputs hängen davon ab, wo gearbeitet wird. Beides wird vielmehr beeinflusst durch die intrinsische Motivation – und an dieser mangelt es vor allem dann, wenn der Arbeitsinhalt langweilt, wenn sich Angestellte ungerecht behandelt fühlen oder wenn sie auf eine Überforderung hinsteuern. Oliver Gassmann, Direktor des Institutes für Technologiemanagement der Universität St. Gallen, konnte mit seinen Untersuchungen belegen, dass Home-Office die Produktivität steigert – unter anderem, weil weniger Unterbrechungen und Sitzungen den Arbeitsfluss stören. Auch Hartmut Schulze, Psychologe und Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz, kommt zu einem ähnlichen Schluss. Wer 0,5 bis 2,5 Tage pro Woche zu Hause arbeite, steigere zudem nicht nur seine Arbeitsleitung, sondern tue auch etwas Gutes für die Gesundheit. Dazu trägt die Reduktion der Reisezeiten bei sowie eine grössere Autonomie bei der Festlegung der Arbeitszeiten.
Laut der Universität St. Gallen wären gegenwärtig von den etwa 2,3 Millionen Wissensarbeitern in der Schweiz etwa rund ein Fünftel (450 000) in der Lage, einen Tag pro Woche von zu Hause aus zu arbeiten. Doch nur knapp 7 Prozent (30 000) nutzen diese Möglichkeit. Woran liegt das? Zum einen ist es mangelnde Bereitschaft mancher Arbeitnehmenden. Selbst bei Home-Office-Pionieren wie Microsoft ist die Umstellung auf flexibles Arbeiten nicht reibungs- und widerstandslos verlaufen.
Microsoft Schweiz begann im Jahr 2008 mit der systematischen Förderung flexibler Arbeitsformen. Im Sommer 2011 arbeiteten die Angestellten wegen Umbauarbeiten sogar ganze drei Monate nicht mehr im herkömmlichen Bürogebäude, sondern zu Hause. Neben all den positiven Nebeneffekten zeigte sich, dass es vielen Mitarbeitenden schwerfiel, klare Grenzen zu ziehen und gegenüber den anderen Mitgliedern im Haushalt zu kommunizieren, wann gearbeitet wird und wann sie als Privatpersonen ansprechbar sind. Auch hatten manche Mühe, Pausen einzulegen und sich gut zu ernähren. Diese Beispiele zeigen, dass das gelegentliche Arbeiten in den eigenen vier Wänden tatsächlich gelernt werden muss.
Eiserne Disziplin ist eine Voraussetzung, um von zu Hause aus arbeiten zu können. «Nicht jeder eignet sich für diese Art von Arbeit. Manche Heimarbeiter kämpfen sehr mit ihrem inneren Schweinehund», meint Gudrun Sonnenberg, Autorin des Buches «Homeoffice». In einem solchen Fall rät sie, klare Verabredungen mit sich selbst zu treffen: Zeitpläne aufstellen, To-do-Listen machen.
Ein weiterer Grund, weshalb sich das Home-Office nicht schon viel stärker verbreitet hat, ist in gewissen Firmenkulturen zu suchen, die mit dieser Arbeitsweise nicht kompatibel sind. Telearbeit kann nicht per Knopfdruck eingeführt werden, um Bürokosten zu sparen und sich als modernen Arbeitgeber zu positionieren. Zwingende Voraussetzung ist ein Führungsverständnis, das einen höheren Koordinationsaufwand in Kauf nimmt und das nicht auf Kontrolle, sondern auf selbstverantwortliches Arbeiten setzt. Massgebend für die Leistungsbeurteilung muss das Ergebnis sein und nicht etwa die Präsenz am Büroschreibtisch. Ohne diese grundlegenden Haltungen geraten Mitarbeitende, die ab und zu von zu Hause aus arbeiten, ins Hintertreffen und werden bei Beförderungen übergangen – auch weil sie den informellen Austausch viel weniger pflegen können.
Viele Angestellte, die das Home- Office praktizieren, strafen die Skeptiker Lügen. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass moderne Heimarbeiter sich gerade wegen der latenten Unterstellung, sich zu Hause auf dem Sofa zu fläzen, statt am Schreibtisch zu sitzen, besonders anstrengen und eher zu viel arbeiten.
450'000. So viele Wissensarbeiter könnten in der Schweiz zu Hause arbeiten. Nur 30'000 nutzen die Möglichkeit.
(Photo: Glowimages)