Unternehmensberaterin Claudia Meschi über Internetsucht und die Folgen für die Arbeitswelt.
Immer online, immer erreichbar: warum Firmen diesem Verhalten im eigenen Interesse einen Riegel schieben sollten – und wie sich das Suchtverhalten bemerkbar macht.
Interview: Manuela Specker
Sie beschäftigen sich unter anderem mit Suchtverhalten am Arbeitsplatz. Wo sehen Sie gegenwärtig am meisten Handlungsbedarf?
Claudia Meschi:* Ich stelle fest, dass es vielen Betrieben schwer fällt, sich mit dem Thema „Sucht am Arbeitsplatz“ konkret auseinanderzusetzen. Das betrifft nicht nur legale (Alkohol) und illegale Suchtmittel (Cannabis). Ein Problem ist zunehmend die stoffungebundene Sucht, die auch als Verhaltenssucht bezeichnet wird. Dazu gehört der Umgang mit Smartphone, Tablet oder generell dem Internet. Noch immer gehen viele Unternehmen davon aus, dass dies in der Eigenverantwortung der Mitarbeitenden geschieht. Die Unternehmen – unabhängig von ihrer Grösse – sollten über eine klare Haltung und Strategie im Umgang mit technischen Mitteln verfügen und die Angestellten für das Thema der Internet- und Handysucht sensibilisieren.
Weshalb?
Der Arbeitgeber ist zum einen aus rechtlichen Gründen verpflichtet. Zum anderen sollte er dies aus Eigeninteresse tun: Die Internetsucht beeinträchtigt sowohl Leistungsfähigkeit als auch Arbeitssicherheit. Übermässig langes Verweilen im Internet kann auch zu Haltungsschäden, Kopfschmerzen oder gestörtem Essverhalten führen. Sowohl Internet- als auch Handysucht haben körperliche und soziale Auswirkungen.
Ab wann sind denn Internet und Mobiltelefon eine Sucht, bzw. wie äussert sich diese Sucht am Arbeitsplatz?
Wer süchtig ist, verliert die Kontrolle über sein Verhalten, die Entzugserscheinungen sind ähnlich wie bei stoffgebundenen Süchten: Unruhe, Gereiztheit und eine Dominanz der Gedankenwelt um das eine Thema. Alle Formen der Computernutzung beinhalten Suchtpotenzial. Eine bedeutende Suchtgefahr geht von Angeboten aus, welche die Benutzer stark an sich binden, zum Beispiel Online-Spiele sowie Chats. Nicht allein die Dauer der verbrachten Zeit im Internet oder mit Computerspielen ist dabei von Bedeutung, sondern auch, aus welchen Beweggründen konsumiert wird. Problematisch ist natürlich auch, wenn sich jemand während der Arbeit ständig vom Internet oder dem Mobiltelefon ablenken lässt.
Was führt letztlich dazu, dass sich jemand von leblosen Gegenständen so sehr dominieren lässt?
Bei der exzessiven Nutzung von Internet oder Mobiltelefon geht es in der Regel darum, von bestehenden psychosozialen Problemen abzulenken. Gerade deshalb sind junge Erwachsene besonders gefährdet, weil sie alleine aufgrund ihres Alters mit Identitätsfragen konfrontiert sind. Wer immer online ist, weicht solchen Fragen aus. Knapp 40`000 Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren gelten in der Schweiz als süchtig nach ihrem Mobiltelefon. Dies ergab eine repräsentative Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Forschungsstiftung Mobilkommunikation der ETH Zürich. Sie verspüren eine regelrechte Euphorie, wenn sie Messages erhalten und sind entsprechend unruhig und gereizt, wenn sie einmal keinen Zugriff auf das Telefon haben.
Manche Firmen sperren einfach Internet-Seiten oder den Zugang zum privaten E-Mail. Ist das nicht ein Anachronismus in Zeiten, wo Arbeitnehmer freiwillig nicht mehr klar zwischen Arbeit und Freizeit trennen, wo sie ihre Geschäfts-Emails auch am Wochenende und in den Ferien abrufen?
Nein, ich denke, das Sperren von Internet-Seiten erfolgt zum Schutz des Arbeitsnehmers und ist nicht als Misstrauensvotum zu interpretieren. Damit setzt der Arbeitgeber auch ein Zeichen, dass dem Konsum Grenzen gesetzt sind. Der Umgang mit Internet und Mobiltelefon ist nicht nur eine Frage der Eigenverantwortung, auch der Arbeitgeber steht in der Pflicht.
Arbeitgeber sehen es allerdings nicht ungern, wenn jemand ständig erreichbar ist. Von Führungskräften wird das oft sogar erwartet, selbst in deren Ferien.
In der Tat stehen Firmen heute vor einem Problem, das sie selber gefördert haben. Wenn sie ihre Mitarbeitenden mit Tablets und Handy ausrüsten, ohne den Umgang damit zu thematisieren, besteht immer auch die Gefahr, dass manche Angestellte sich selber ausbeuten, bis hin zur Erschöpfungsdepression. Es fehlt an klaren Regelungen und einer entsprechenden Sensibilisierung der Vorgesetzten und der Teamkollegen für die Thematik.
Was raten Sie konkret?
Letztlich geht es um Prävention und um Früherkennung. Oft wird erst gehandelt, wenn der Mitarbeitende schon krank ist und ausfällt. Bei genauem Hinsehen war aber schon länger ersichtlich, dass etwas nicht stimmt: wirkt der Angestellte plötzlich ungepflegt, übermüdet, haben Leistung und Motivation ab- und die Absenzen zugenommen? Redet jemand nur noch von seinem PC? Die Symptome einer Internet- oder Handysucht sind letztlich ganz ähnlich wie bei anderen, stoffgebundenen Süchten.
*Claudia Meschi (42) ist Geschäftsführerin und Inhaberin der Beratungsfirma procedere GmbH in Olten, welche auf das Betriebliche Gesundheitsmanagement und die Sozialberatung spezialisiert ist.