Das mobile Arbeiten ist auf dem Vormarsch. Für Arbeitnehmende kann es sich aber auch als Nachteil entpuppen.
Von Manuela Specker
Flexible Arbeitsformen sind eigentlich ein Segen. Weil unter solchen Umständen das eigenverantwortliche Arbeiten einen grossen Stellenwert hat, sind in der Regel die Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeitenden besonders hoch. Auch können sich die Mitarbeitenden zum Beispiel antizyklisch verhalten und den grossen Pendler-Strömen ausweichen. Die Firma wiederum spart Kosten ein. Microsoft beispielsweise konnte am Standort Amsterdam die Immobilien-Ausgaben durch flexible Arbeitsplätze um 30 Prozent senken.
In den Niederlanden hat der Staat kürzlich sogar ein Recht auf Arbeit im Homeoffice beschlossen: Ab Juli können Mitarbeitende darauf bestehen, zu Hause zu arbeiten, sofern das Unternehmen über mehr als zehn Beschäftigte verfügt und keine betrieblichen Gründe dagegen sprechen. Lehnt der Arbeitgeber die Heimarbeit ab, muss er eine Begründung liefern. Die Beweislast kehrt sich also um.
In der Schweiz ist das mobile Arbeiten – sei es von unterwegs oder von zu Hause aus – ebenfalls auf dem Vormarsch. Laut einer repräsentativen Umfrage bei dienstleistungs- und -wissensorientierten Betrieben haben heute rund 54 Prozent der Schweizer Erwerbstätigen die Möglichkeit, mobil zu arbeiten.
Allerdings ist mobiles Arbeiten kein Allheilmittel. Selbst in Grosskonzernen, wo alle technischen Voraussetzungen gegeben wären, sind flexible Arbeitsmodelle längst nicht für alle Abteilungen und Funktionen von Vorteil. Das verheissungsvolle mobile Arbeiten kann sich für Mitarbeitende sogar als Nachteil entpuppen – vor allem dann, wenn die Arbeitszeiten nicht erfasst werden. Längst nicht alle können mit den Freiheiten umgehen und haben zunehmend Mühe, sich in der Freizeit von der Arbeit abgrenzen. Eine Auswertung im Auftrag des Staatssekretariates für Wirtschaft (Seco) zu den flexiblen Arbeitszeiten in der Schweiz aus dem Jahr 2012 zeigt, dass Arbeitnehmende, die flexibel arbeiten und ihre Zeit nicht erfassen, häufig markant länger arbeiten als vertraglich vereinbart.
Ob flexible Arbeitsformen Vorteile bringen, ist nicht nur eine Frage der Unternehmenskultur, sondern auch der persönlichen Präferenzen. Wer beispielsweise sehr viel Wert auf permanenten und persönlichen Austausch mit anderen Mitarbeitenden legt, wer unter enger Anleitung besser arbeitet oder sich beim Arbeiten von unterwegs oder in den eigenen vier Wänden leicht ablenken lässt, für den sind herkömmliche Arbeitsmodelle nach wie vor die bessere Wahl. Und genau diese Wahl sollten die Firmen ihren Angestellten lassen und sie nicht etwa zum flexiblen Arbeiten zwingen. „Es ist kein Makel zuzugeben, dass man für diese Art des Arbeitens gar nicht oder nur in begrenztem Mass geeignet ist“, heisst es in einem gemeinsam von Microsoft Deutschland und des Marktforschungsinstitutes Gallup verfassten Papier, das die zentralen Regeln sowohl für Arbeitnehmende wie Arbeitgeber festhält.
So paradox es klingt: Um flexiblen Arbeitsformen zum Durchbruch zu verhelfen, braucht es tatsächlich klare Regeln und Vereinbarungen. Wann gibt es eine Pflicht zur Anwesenheit? Wer muss wann verfügbar sein? Microsoft und Gallup raten zu festen, wiederkehrende Meetings, die langfristig im Kalender eingetragen sind. Bei Microsoft verbessern beispielsweise sogenannte „weeklys“ die Koordination nicht nur innerhalb von Abteilungen, sondern auch übergreifender Projektteams. Regelmässige, persönliche Treffen sind und bleiben unverzichtbar.
Auch das Thema Führung wird nicht etwa hinfällig. Flexible Arbeitsformen bedingen sogar eine genaues Hinschauen in bestimmten Situationen: Schreibt ein Mitarbeiter regelmässig spätabends oder sogar mitten in der Nacht E-Mails, stellt sich die Frage, ob er dermassen überlastet ist, oder ob diese Arbeitsweise schlicht seinem persönlichen Rhythmus entspricht. „Flexible Arbeitsmodelle erfordern einen höheren Abstimmungsbedarf. In der Praxis bedeutet das: Mitarbeiter müssen erkennen, dass der Umgang mit Zeit, Ressourcen und Kommunikation auch in ihrer Mitverantwortung liegt“ , heisst es im Papier von Microsoft und Gallup. Sie raten zu einer proaktiven Kommunikation, um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.
Gerade in Firmen, in denen zum Beispiel das Home Office eher die Ausnahme darstellt, geraten jene, die nicht im Büro präsent sind, schnell einmal in Verdacht, zu Hause eine ruhige Kugel zu schieben. Wer also beispielsweise am Nachmittag drei Stunden frei nimmt und sich stattdessen abends nochmals vor den Computer setzt, sollte dies auch so kommunizieren. Mittagspause und externe Termine sollten offen deklariert werden, um Gerüchte gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das Prinzip der Selbstvermarktung gilt also für jene, die nicht regelmässig im Büro präsent sind, noch viel stärker als für Mitarbeitende in herkömmlichen Arbeitsmodellen.
Foto: Thinkstock