Wer beruflich vorwärts kommen will, muss Selbstvertrauen ausstrahlen. Manchmal steckt dahinter aber auch blosse Selbstüberschätzung.
Er kann gut reden, er ist immer zuvorkommend, und überhaupt scheint er keinerlei Zweifel in sich zu tragen. Nur bei gewissen Bürokollegen kommen langsam Zweifel auf: Wo bleibt das lange versprochene Strategiepapier? Warum kann er eigentlich zu allen Themen dieser Welt ausufernd reden? Irgendwann wird den kritischen Geistern klar: Der Mann ist hochgradig inkompetent. Und hat wegen seiner selbstsicheren Auftritte doch die besten Chancen, befördert zu werden.
Es ist dies ein bekanntes Szenario; Grössenwahn und Selbstüberschätzung sind zwei Konstanten in der Arbeitswelt. Wer ganz bewusst der Hybris erliegt und mutwillig ein falsches Bild von sich gibt, befindet sich in den Sphären der Hochstapelei. Viele aber glauben tatsächlich, sie seien unschlagbar gut. Das ist ironischerweise eine Folge ihrer Inkompetenz und verminderten oder gar inexistenten Reflexionsfähigkeit. Dieser Mangel verunmöglicht es ihnen, ihre eigenen Unzulänglichkeiten zu erkennen. Es handelt sich sozusagen um eine kognitive Störung. Soll man deshalb Mitleid mit ihnen haben? Bloss nicht. Aber man soll sich nicht von solchen Figuren verunsichern lassen und ihnen schon gar nicht das Zepter überlassen – weil sie in einem Unternehmen auf längere Sicht nicht besonders viel bewirken.
In der Wissenschaft ist vom Dunning-Kruger-Effekt die Rede. Die beiden Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger hatten immer wieder beobachtet, dass die Inkompetenten keinerlei Unsicherheiten zeigten; ihr eigenes Unvermögen brachte sie weder in Verlegenheit, noch zeigten sie sich bescheiden, ganz im Gegenteil. Das machte die beiden Forscher stutzig, und ihre wissenschaftlichen Untersuchungen lieferten den Beweis: Studenten zum Beispiel, die in den Prüfungen am schlechtesten abgeschnitten hatten, schätzten ihre Leistungen besonders stark ein.
Manchmal ist es auch die pure Macht, die zur Hybris verleitet. Denn wer einen verantwortungsvollen Posten inne hat, ist oft nur noch von Bewunderern umgeben; es fehlt das kritische Korrektiv, um auf dem Boden zu bleiben. In diesem Fall ist die Selbstüberschätzung zweifellos auch ein Charaktermerkmal, da erst durch den Job so richtig zum Erblühen kommt. Wer den Hang nicht dazu hat, würde so einen Job schon gar nicht erst annehmen.
Aber fast jeder neigt dazu, sich in gewissen Bereichen ausserhalb des Arbeitskontextes zu überschätzen. So meinen viele Autofahrer, die Strassen besser im Griff zu haben als alle anderen. Der Ökonomie-Nobelpreisträger Daniel Kahneman von der Universität Princeton spricht vom "Overconfidence-Effekt". Das kommt unter anderem auch in Castingshows zum Ausdruck, wo sich immer wieder Teilnehmer melden, bei denen jeder mitfühlende Zuschauer fragt: warum kriegen sie aus ihrem Umfeld kein ehrliches Feedback? Warum sagt ihnen niemand, dass sie in dem Bereich, indem sie vor einem Millionenpublikum auftreten, gänzlich untalentiert sind?
Immerhin können sie keinen Schaden anrichten, ganz im Gegenteil: sie lassen es zu, dass man sich auf ihre Kosten lustig macht. Anders schaut es aus, wenn der selbstsichere Auftritt am Arbeitsplatz zu einer Beförderung führt, obwohl hinter dem Selbstbewusstsein eben nicht Können, sondern Selbstüberschätzung steckt. Diese Menschen sind in der Regel nicht in der Lage, die Leistungen von anderen Mitarbeitenden einzuschätzen – weil sie wie bereits erwähnt aufgrund ihrer Inkompetenz und ihrem Unwissen die eigenen Limiten nicht einmal bei sich selber erkennen. Zudem neigen sie dazu, für Fehler und Missverständnisse die anderen verantwortlich zu machen. Läuft es hingegen gut, schreiben sie das wie selbstverständlich ihrer Grossartigkeit zu.
Nur schon aufgrund dieser Nebenwirkungen der eigenen Selbstüberschätzung ist es fatal, wenn solche Leute mit Führungsaufgaben betraut werden. Das Hauptproblem ist die grosse Lücke zwischen dem Selbstbild und dem, was sie tatsächlich können – und nicht einmal die Selbstüberschätzung an und für sich.
Denn wer sich nie etwas zutraut, wird auch nie Wagnisse eingehen. So manche Erfindung würde nicht existieren und so manche erfolgreiche Geschäftsidee wäre frühzeitig fallen lassen geworden, wenn sich die Urheber nicht gelegentlich selber überschätzt hätten anstatt sich von Zweifeln bremsen zu lassen.
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