David Zweig ist für seine Buchrecherchen über die „Unsichtbaren“ quer durch Europa, Asien und die USA gereist und hat sie überall angetroffen: Mitarbeitende, die kaum in Erscheinung treten und das Rampenlicht meiden. „Weil sie nicht nach Bekanntheit streben, verschwenden sie keine Zeit damit, sich in den Vordergrund zu rücken“, so Zweig. In einer Arbeitswelt, die vor allem Extrovertierte belohnt und so eine permanente Selbstvermarktung erfordert, erscheinen die „Unsichtbaren“ wie ein Anachronismus. Dabei würde ohne ihren Beitrag so manches Projekt, so mancher Erfolg nie zustande kommen.
Nehmen wir Dennis Poon, ein leitender Statiker für einige der höchsten Gebäude der Welt. Im Rampenlicht steht in der Regel der Architekt. Dabei würden Hochhäuser ohne die Arbeit von Ingenieuren wie Poon nicht lange stehen. Oder der Anästhesist Albert Scarmato. Patienten erinnern sich an den Chirurgen, aber kaum an den Anästhesisten. Was kaum jemand weiss: Scarmato wird von den Chirurgen jeweils um Hilfe gebeten, wenn es während einer Operation brenzlig wird. Dann ist er es, der die Führung übernimmt.
Dies sind nur zwei Beispiele von David Zweigs Begegnungen. Mit seinem Buch „Invisibles – The Power of Anonymous Work in an Age of Relentless Self-Promotion“ bricht er eine Lanze für die stillen Schaffer und beäugt den grassierenden Hang zur Selbstdarstellung kritisch. „Wir haben eine Kultur des lärmenden Eigenlobs geschaffen, in der leise Signale von echter Qualität und Leistung kaum noch zu vernehmen sind“, schreibt er in der „Harvard Business Review“. Soziale Medien haben diese Entwicklung weiter verstärkt. Gerade deshalb seien die Unsichtbaren in der heutigen Arbeitswelt wertvoller als je zuvor.
Er empfiehlt den Managerinnen und Managern auf dieser Welt, die Unsichtbaren überhaupt erst einmal zu erkennen, werden sie doch aufgrund ihrer bescheidenen Art leicht übersehen. Welchen Wert sie für ein Team oder für ein Unternehmen hatten, wird den Führungskräften nämlich oft erst bewusst, wenn die Unsichtbaren die Stelle gewechselt haben – und eine grosse Lücke hinterlassen. Auch Sylvia Löhken, Sprachwissenschaftlerin und Autorin des Buches „Intros und Extros“, macht die Erfahrung, dass die leisen Mitarbeitenden oft unterschätzt werden, eben weil sie ihre Leistungen nicht überzeugend genug kommunizieren.
Wie also kann eine Firma solche Mitarbeitende halten? Auch wenn sie nicht auf öffentliche Anerkennung angewiesen sind – sie wollen durchaus in ihren aussergewöhnlichen Fähigkeiten wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Die fehlende Selbstvermarktung dürfe keinesfalls falsch verstanden werden: „Diese Mitarbeiter kennen ihren Wert genau“, sagt David Zweig.
So schaffen Unternehmen die Voraussetzungen, um stille Schaffer im Betrieb zu halten:
- Die Unternehmenskultur muss auf Leistungsorientierung und nicht auf Selbstvermarktung ausgerichtet sein. „Stellen Sie Verhalten heraus, das Sie öfter sehen wollen, befördern Sie vorbildliche Führungskräfte, machen Sie klar, dass Sie für Selbstdarsteller nicht viel übrig haben“, lautet David Zweigs Ratschlag. Vom Auftreten an Sitzungen sollte also nicht auf die Leistungsfähigkeit geschlossen werden.
-Um sich nicht vom äusseren Auftreten beeindrucken lassen, sollten Vorgesetzte jederzeit über die Leistungen der Mitarbeitenden im Bild zu sein – indem zum Beispiel verlangt wird, wöchentlich oder monatlich über die geleistete Arbeit Rechenschaft abzulegen. Auf den ersten Blick haftet diesem Vorgehen ein Kontrollwahn an. „Paradoxerweise aber können gerade mehr Struktur und Formalität für viele Beschäftigte befreiend wirken, die hervorragende Arbeit leisten, aber nicht gern darauf aufmerksam machen, wie wichtig sie sind.“
-Introvertierte Mitarbeitende brauchen mehr Rückzugsmöglichkeiten, gerade auch in Grossraumbüros. Brainstormings sind ihnen ein Graus: Sie kommen erst dann in Fahrt, wenn sie sich vertieft mit einer Aufgabe auseinandersetzen können – und nicht auf Kommando Ideen liefern müssen.
Für Unternehmen ist es auf jeden Fall ein Gewinn, wenn sich Beschäftigte mehr auf die Arbeit anstatt auf die Pflege des Images konzentrieren. Gemäss der amerikanischen Juristin und Autorin Susan Cain wäre die Finanzkrise von 2008 deutlich weniger drastisch ausgefallen, wenn an den Schalthebeln der Macht mehr „stille Schaffer“ gewesen wären. Untersuchungen der Kellogg School of Management in Chicago unterstützen diese Behauptung. So kommen die Dopamin-gesteuerten Motivationssysteme des Gehirns bei Introvertierten langsamer in Gang – mit der Folge, dass meist ausgewogenere und weniger risikoreiche Entscheidungen getroffen werden.
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