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Zu smart für den Job

Veröffentlicht am 25.08.2018 von Manuela Specker - Bildquelle: Thinkstock
Zu smart für den Job

Hochbegabte sollten ein Segen für jede Firma sein – stattdessen ecken sie oft an

Hannah (34) wollte eigentlich nur die Prozesse verschlanken und mit neuen Ideen Schwung in verkrustete Strukturen bringen. Das kam weder beim Vorgesetzten noch bei den Arbeitskolleginnen und -kollegen gut an: Er fürchtete, sie wolle ihm den Posten streitig machen, sie unterstellten ihr, Eindruck schinden zu wollen. Dabei interessiert sie sich weder für eine Führungsfunktion, noch leidet sie unter einer Profilierungsneurose. Sie erkannte nur schneller als andere, was nicht gut läuft, und da sehr an der Sache, aber nicht an Machtkämpfen interessiert, brachte sie in geradezu kindlicher Naivität ihre Verbesserungsvorschläge vor.

Das ist eine Situation, wie sie typisch ist für besonders begabte Mitarbeitende. Oft wissen sie nicht einmal um ihre Fähigkeiten, die sich zum Beispiel in einer raschen Auffassungsgabe äussern. Wie ein Schwamm saugen sie alles auf und gehen in ihren Analysen entsprechend in die Tiefe. Der allgemeingültige Begriff „Hochbegabung“ – in einem IQ-Test braucht es dafür einen Wert von mindestens 130 - sagt also nichts über die Quantität von Wissen aus. Vielmehr geht es um den kognitiven Aspekt. Was wie ein Segen klingt, ist aber oft ein Fluch für Betroffene: Da sie mehr auf einmal aufnehmen und immer alles in grössere Zusammenhänge stellen, sind Selbstzweifel unter ihnen besonders weit verbreitet.

Entgegen weitläufiger Annahmen machen Hochbegabte nicht automatisch Karriere, ganz im Gegenteil: Sie stehen sich oft selber im Weg, wenn sie sich nicht in bestehende Machtgefüge und Strukturen einfügen können. „In hierarchischen und autoritären Beziehungen kommt es häufig zu Konflikten und zum Bruch“, beobachtet die Psychologin Jeanne Siaud-Facchin, die das Buch „Zu intelligent, um glücklich zu sein?“ verfasst hat. Hochbegabte mit ihrer Fähigkeit, blitzschnell ein umfassendes Verständnis selbst auf Feldern zu entwickeln, die ihnen neu sind, würden die Dinge häufig besser und schneller machen als ihre Lehrer beziehungsweise Vorgesetzten. Das Ganze könne für alle Beteiligten schwer sein. „Für den Hochbegabten, weil es verwirrend ist, immer allen voraus zu sein, ganz allein. Und genauso unerträglich ist es für diejenigen, die sich eigentlich auskennen, die ihre Unterlegenheit aber nicht zugeben möchten.“

Ähnliche Erfahrungen macht auch Corinna Kegel, Coach für hochbegabte Erwachsene. Sie wurde einst von einer Personalchefin kontaktiert, die sich über eine „schwierige“ Mitarbeiterin beklagte. Sie ecke ständig an, spreche sehr schnell, rede immer klug daher, wisse alles besser und könne sich nur schwer ins Team einordnen. Zudem sei sie schnell mit ihrer Arbeit fertig und langweile sich dann.

Was auf den ersten Blick tatsächlich wie ein Problemfall klingt, wäre eigentlich ein Segen für die Firma, wenn sie denn das Potential der Mitarbeiterin zu nutzen wüsste anstatt von ihr zu erwarten, wie alle anderen zu funktionieren. Die Betroffenen wiederum machen sich oft das Leben schwer, indem ihnen vollkommen der Massstab fehlt, was sie eigentlich leisten. Neben Selbstzweifel nagt auch der Hang zum Perfektionismus an ihnen. Anstatt einfach mal die Fünf gerade sein zu lassen, bringen sie es fertig, bis tief in die Nacht an einem Problem oder einer Fragestellung zu knobeln – oft sogar auf Kosten des geselligen Beisammenseins. „Ihre Begeisterung für intellektuelle Herausforderungen ist grenzenlos. Sie fräsen sich so tief in ein Thema hinein, dass sie vergessen, wieder rechtzeitig aufzutauchen“, schreibt Corinna Kegel in ihrem Buch „Die fabelhafte Welt der Hochsensiblen und Hochbegabten“. Es verwundere deshalb nicht, dass sich manche Hochbegabte bisweilen bis zum Burn-out verausgaben.  

Selbstverständlich sind Hochbegabte keine homogene Gruppe und in ihren Persönlichkeiten genauso verschieden wie normal Begabte. Was sie aber eint ist die andere, viel schnellere Art der Informations- und manchmal auch Reizverarbeitung. Nicht selten gesellt sich zur Hochbegabung auch eine Hochsensibilität dazu. Diese Menschen saugen nicht nur Informationen im Eiltempo auf, sie nehmen zum Beispiel auch Düfte oder Geräusche intensiver wahr. Es ist, als ob bei ihnen im Gehirn ein Filter fehlte – entsprechend brauchen sie mehr Rückzugsmöglichkeiten, um sich von dieser Reizüberflutung zu erholen. Vorgesetzte, die ein solche Konstellation bei Mitarbeitenden erkennen, sollten ihnen entsprechende Freiheiten lassen anstatt sie in ein Korsett zu stülpen. Teamarbeit zum Beispiel ist für viele Hochbegabte ein Gräuel, weil sie sich mit ihrem hohen Denktempo oft langweilen. Erhalten Sie hingegen den nötigen Freiraum, kommt das Potenzial viel eher auch der Firma zugute. Zu ihrem eigenen Wohl sollten Hochbegabte das Weite suchen, wenn sie im Anderssein nicht erkannt werden. Manche blühen sogar erst auf, wenn sie ihr eigener Herr oder ihre eigene Meisterin sein können.