Alkoholprobleme werden oft ignoriert – zum Schaden aller. Was tun, wenn ein Verdacht besteht?
Die Angestellten tuscheln bereits hinter vorgehaltener Hand, dem Vorgesetzten ist das Thema so unangenehm, das er es gar nicht erst ansprechen will: Steht ein Mitarbeiter unter Verdacht, ein Alkoholproblem zu haben, tritt oft erst einmal die Vermeidungsstrategie in Kraft. Das verwundert nicht, torkelt doch der betreffende Mitarbeitende nicht mit der leeren Flasche durch die Gänge. Alkoholprobleme zeigen sich viel subtiler. Einen entsprechenden Verdacht auszusprechen bedeutet zugleich auch immer, in die Privatsphäre der betreffenden Person einzudringen.
Und genau das macht es so schwierig, das Thema anzupacken – obwohl Studien zeigen, dass ein alkoholkranker Mitarbeiter nur drei Viertel seiner Leistung erbringt, viermal so häufig in Unfälle verwickelt ist und dreimal häufiger krank ist. Bereits ab 0,3 Promille sind Aufmerksamkeit und Konzentration beeinträchtigt, ab 0,5 Promille nimmt die Reaktionsfähigkeit ab.
Co-Abhängigkeit vermeiden
Rasches Handeln wäre also angebracht. Stattdessen entwickelt sich oft eine sogenannte Co-Abhängigkeit: Mitarbeitende bügeln Fehler aus und holen die Kohlen aus dem Feuer, so dass Vorgesetzten nur schon deshalb lange verborgen bleiben kann, dass ein Problem besteht. Ein Teufelskreis: Indem das Umfeld über das problematische Verhalten einer Person schweigt, ist diese auch nicht gezwungen, den eigenen Alkoholkonsum zu hinterfragen. „Unternimmt niemand etwas, wird dies von den Betroffenen als Bestätigung interpretiert, dass sie weitertrinken können und dass sich das Unternehmen an das problematisches Verhalten anpassen wird”, heisst es bei Sucht Schweiz, dem WHO-Kooperationszentrum für Forschung, Prävention und Dokumentation im Bereich des Substanzmissbrauchs.
Immerhin 2 Prozent aller Angestellten sollen gemäss einer gemeinsamen Studie des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und der Suva einen problematischen Alkoholkonsum haben, das entspricht rund 70‘000 Personen. Zwar haben immer mehr Unternehmen den Umgang mit Suchtmitteln am Arbeitsplatz in ihrer Personalpolitik geregelt, wie Sucht Schweiz feststellt. Noch vor einigen Jahren sei man der Einführung von Alkoholpräventionsprogrammen in der Arbeitswelt mit Skepsis begegnet. „Alkoholprobleme waren ein gesellschaftliches Tabu, und auch in Unternehmen neigte man dazu, über Alkoholprobleme von Mitarbeitenden hinwegzuschauen. Heute zeichnet sich eine Enttabuisierung des Themas ab.”
Einfacher gesagt als getan
Nur: Zwischen einem Reglement auf Papier und dem Handeln in der Realität besteht ein grosser Unterschied – und so manch ein Alkoholiker trinkt erst nach Arbeitsschluss. In dieser Sphäre kann der Arbeitgeber natürlich keine Vorschriften machen. Hinzu kommt: Wenn Vorgesetzte den Alkoholkonsum thematisieren wollen, stehen sie unter Umständen vor grossen Schwierigkeiten, da es weder ihrer Funktion noch ihrer Fähigkeit entspricht, sich mit dieser Art von Problemen zu befassen.
Den betreffenden Mitarbeitenden direkt auf das Alkoholproblem anzusprechen ist aus einem anderen Grund sehr schwierig: Wie die Erfahrungen zeigen, setzen die Betroffenen alles daran, das Problem zu leugnen – wohl auch aus Angst, die Stelle zu verlieren. In dieser Situation legen sie manchmal sogar vorübergehend eine grosse Leistungs- und Kooperationsbereitschaft an den Tag, um Defizite und Fehlleistungen zu übertünchen.
Richtig und rasch helfen
Wird bei einem Mitarbeiter ein Alkoholproblem vermutet, stehen in erster Linie stehen die Vorgesetzten in der Pflicht. Je früher sie sich des Themas annehmen, umso besser – anstatt vom ersten Verdacht bis zur Eskalation Jahre vergehen zu lassen. Abgesehen von der typischen Alkoholfahne sollten neben nachlassender Produktivität und Leistungsbereitschaft folgende Anzeichen misstrauisch machen: Betroffene sind ohne erkennbaren Grund plötzlich vom Arbeitsplatz abwesend, sie vernachlässigen Kleidung und Hygiene und vertragen Kritik oft nur schlecht.
Ebenfalls typische Anzeichen sind glänzende Augen, geplatzte Äderchen im Gesicht oder Verhaltensweisen wie plötzliche Aggressivität oder Unzuverlässigkeit. Allerdings können all diese genannten Merkmale auch ganz andere Ursachen haben. Sucht Schweiz empfiehlt deshalb, bei jeglicher Intervention sich auf konkrete Fakten und nicht auf einen Verdacht zu beziehen. Sprich: Massgebend sind die Veränderungen im Arbeitsverhalten und in der Leistungsfähigkeit des betroffenen Mitarbeitenden.
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