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Ab ins Bett - kranke Angestellte

Veröffentlicht am 17.02.2013
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Kranke Angestellte kommen Firmen teuer zu stehen, wenn sie arbeiten, statt das Bett zu hüten. Selbst hohes Fieber ist für manche kein Grund, der Arbeit fernzubleiben – es könnte ihnen sonst der Bonus entgehen. Eine solche Personalpolitik erweist sich für die Unternehmen als Eigentor. - von Manuela Specker -
Die Grippewelle ist da, und sie wird sich in den kommenden Wochen weiter ausbreiten. Doch längst nicht jeder, der unter den Symptomen leidet, bleibt auch zu Hause. Für manche Mitarbeitende ist der Druck am Arbeitsplatz so hoch, dass sie sich krank ins Büro schleppen – oder sie folgen einem Anreizsystem, das dauerhafte Anwesenheit belohnt. «Es gibt noch immer Unternehmen, die Mitarbeitende, welche das ganze Jahr über nie gefehlt haben, belohnen», beobachtet Norbert Thom, der emeritierte Professor für Organisation und Personal. Das kann in Form eines Bonus sein, aber auch in Form von freien Tagen, Reka-Checks oder sonstigen Zückerchen. Alle diese Massnahmen haben zum Ziel, die Präsenz der Mitarbeitenden am Arbeitsplatz zu erhöhen. Dumm nur, dass der Fokus auf die blosse Präsenz die Firmen am Ende teurer zu stehen kommt.

Das Beratungsunternehmen Booz & Company hat ausgerechnet, welche Kosten Mitarbeitende verursachen, die krank zur Arbeit erscheinen. Sie richten doppelt so grossen Schaden an wie jene Mitarbeitenden, die zu Hause das Bett hüten. Durch ihren vermeintlichen Heroismus machen sie nicht nur mehr Fehler, treffen falsche Entscheidungen und leisten weniger, sie stecken auch die Kollegen an und erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls oder einer langwierigen chronischen Krankheit. Diese verdeckten Kosten belaufen sich gemäss Booz & Company auf knapp 3000 Franken pro Kopf. Eine Studie der Cornell University errechnete, dass der Produktivitätsverlust durch krank am Arbeitsplatz erscheinende Mitarbeiter sogar dreimal so hoch ist wie Verluste durch krankgeschriebene Kollegen. Ob die Differenz nun zwei- oder dreimal so gross ist: Die Zahlen deuten in jedem Fall darauf hin, dass eine auf körperliche Präsenz gerichtete Personalpolitik kurzsichtig ist und Firmen längerfristig schadet.

Norbert Thom erklärt sich den nach wie vor verbreiteten Fokus auf die Präsenz am Arbeitsplatz mit einem veralteten Führungsbild, das auf Macht und Kontrolle basiert. Zugleich wäre es töricht, das Absenzenmanagement grundsätzlich zu verteufeln. «Die Arbeitsplatzkosten in der Schweiz sind überdurchschnittlich hoch. Auch deshalb haben die Firmen ein Interesse daran, dass die betroffenen Mitarbeitenden möglichst schnell an den Arbeitsplatz zurückkehren», so Norbert Thom. Die Kunst liegt darin, die richtige Balance zu finden. Die grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber der Präsenz als wichtigstem Kriterium widersprechen sich deshalb nicht mit dem Bemühen der Firmen, kranke oder verunfallte Mitarbeitende möglichst schnell wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern – zumal es sich in diesen Fällen in der Regel nicht um grippale oder sonstige saisonale Erkrankungen handelt, sondern um einschneidende gesundheitliche Beeinträchtigungen. In diesen Fällen kommt das so genannte Case Management zum Zug, mit dem Firmen Mitarbeitende wieder rechtzeitig in den Arbeitsprozess eingliedern, anstatt sie zu Hause ihrem Schicksal zu überlassen. Wenn sich also die Firma nach dem Befinden und den Fortschritten erkundigt, kann dies nicht grundsätzlich als Misstrauensvotum interpretiert werden. «Eine Firma, die sich zu stark in die privaten Angelegenheiten einmischen würde, befände sich schnell einmal im Clinch mit den Prinzipien eines freiheitlichen Rechtsstaates», so Thom. Seit 2002 hat sich gemäss Bundesamt für Statistik die Absenzenquote in der Schweiz sukzessive verringert und ist seither nie mehr über 4 Prozent der jährlichen Normalarbeitszeit gestiegen.

Eine möglichst tiefe Absenzenquote ist dabei nicht das Mass aller Dinge, ebenso wenig eine blosse theoretische Abkehr von der Präsenzpflicht. Die Wirkung einer solchen Massnahme wäre ungefähr vergleichbar mit täglich wechselnden Obstschalen und Wasserspendern auf den Gesundheitszustand der Mitarbeitenden. «Die neue Kultur muss von den Führungskräften vorgelebt werden», bringt es Norbert Thom auf den Punkt. Nur wer als Vorgesetzter auch einmal früher nach Hause geht und sich erlaubt, eine Krankheit auszukurieren, erreicht eine nachhaltige Verhaltensänderung bei den Angestellten. Grund für die permanente Präsenz am Arbeitsplatz ist nicht nur eine grosse Arbeitslast oder das Pflichtgefühl, sein Team nicht im Stich lassen zu wollen. In Zeiten der «Hire and fire»-Mentalität ist es auch die Angst, bei der nächsten Sparrunde die Stelle zu verlieren. Thomas Sattelberger, bis Ende 2012 Personalchef der Deutschen Telekom, forderte deshalb öffentlich: «Den Angestellten muss die Sorge genommen werden, dass kleine tägliche und grosse mehrmonatige Auszeiten den Knick in der Karriere bedeuten.»

«Die neue Kultur muss von den Führungskräften vorgelebt werden.»
Professor Norbert Thom