Von Matthias Adrion*
Rund 90 Prozent der Ingenieure in Führungspositionen sind der Meinung, dass das Recruiting von Nachwuchskräften ihrer Berufsgruppe schwierig ist, so eine aktuelle Studie von Swiss Engineering und economiesuisse. Doch hapert es wirklich am geringen Fachkräfte-Angebot? Zumindest zwei Drittel der Vorgesetzten sehen das so. Sie gaben in der Befragung an, dass es insgesamt zu wenig Ingenieurinnen und Ingenieure am Markt gäbe.
Vieles deutet jedoch darauf hin, dass der Fachkräftemangel weniger dramatisch ausfällt als oft behauptet – und rekrutierende Unternehmen selbst für so manche Schwierigkeit in der Stellenbesetzung verantwortlich sind.
Perfektion ist nicht alles
Ein erstes Beispiel ergibt sich direkt aus der zitierten Befragung. 28 Prozent aller Führungskräfte gaben an, dass für sie lediglich Kandidaten interessant seien, die vollständig alle Anforderungen in der Stellenbeschreibung erfüllen. Das schränkt den Pool an Bewerbern naturgemäss ganz erheblich ein. Schon ein wenig mehr Flexibilität würde manche Besetzung erleichtern, wie auch die Studie zeigt: Von den Befragten, die Stellenbesetzungen in ihrem Bereich als eher leicht beurteilten, gab fast die Hälfte an, auch Kandidaten mit nicht perfekter Passung zu berücksichtigen – und entsprechend intensiv einzuarbeiten.
Ein weiteres Beispiel für hausgemachte Recruiting-Probleme: Vakanzen entstehen häufig erst dadurch, dass der bisherige Stelleninhaber das Unternehmen verlässt. Firmenwechsel aber sind oftmals schlicht durch mangelnde Angebote des bestehenden Arbeitgebers motiviert. Auch hierfür liefert die economiesuisse-Studie Hinweise. Als Grund für den letzten eigenen Stellenwechsel gab jeder dritte Befragte fehlende Entwicklungsmöglichkeiten an. Ebenfalls zu den meistgenannten Gründen zählen unsichere Zukunftsperspektiven, mangelnde Wertschätzung und eintönige Arbeitsinhalte.
Recruiting von vorgestern
Auch in der Bewerberansprache herrscht in vielen Unternehmen noch Nachholbedarf. Frei nach dem Motto „Post and Pray“ beschränken sich nach wie vor viele darauf, ausschliesslich per Anzeigenschaltung nach geeigneten Bewerbern zu suchen und auf möglichst grosse Resonanz zu hoffen. Das reicht gerade in Engpassfunktionen nicht aus.
Dabei gibt es unzählige weitere Kanäle, über die Kandidaten erreicht werden können. Zu nennen wären da vor allem die eigenen Netzwerke: Dank digitaler Tools lassen sich „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“-Programme heute so einfach und professionell managen wie niemals zuvor. Über innovative Rekrutierungskanäle wie Facebook, Instagram, Twitter und Co. kann der Rücklauf weiter erhöht werden.
Der Königsweg im MINT-Recruiting (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) ist und bleibt jedoch der direkte Kontakt mit potenziellen Bewerbern. Über Karrieretage und „Open House“-Formate lassen sich diese wirksamer ansprechen als über jede Werbeschaltung. Auch Karrieremessen bieten diese Möglichkeit.
Wichtig ist, dass die Veranstaltung speziell auf die Bewerberzielgruppen zugeschnitten ist. Ein Beispiel hierfür ist die advanceING in Zürich (
www.advanceING.ch), die sich schwerpunktmässig an berufserfahrene Kandidaten richtet. Jedes Jahr im Oktober bietet sich Unternehmen hier die Gelegenheit, direkt auf wechselwillige Kandidaten aus Ingenieurwesen, Technik und IT zuzugehen. Schon so manche scheinbar nicht zu füllende Vakanz konnte auf diesem Wege ganz schnell besetzt werden.
* Matthias Adrion ist Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Employer Branding der Personalmarketing-Agentur Dr. Schmidt & Partner GmbH aus Kastanienbaum.
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