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Schöne neue Arbeitswelt

Veröffentlicht am 22.07.2017
Schöne neue Arbeitswelt
Entgegen aller Prognosen wird heute mehr denn je gearbeitet. Zugleich vernichtet die Digitalisierung Jobs. Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt der Zukunft?
 
Von Manuela Specker
 
„Ich möchte in vollem Ernst erklären, dass in der heutigen Welt sehr viel Unheil entsteht aus dem Glauben an den überragenden Wert der Arbeit an sich“. Es war 1932, als der englische Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell (1872-1970), mitten in der Weltwirtschaftskrise, das Unheil voraus kommen sah und in einem Essay kritisch mit dem vorherrschenden Arbeitsethos ins Gericht ging. Grosses Elend und Arbeitslosigkeit  auf der einen Seite, Überarbeitung und Überforderung auf der anderen Seite erzürnten den Vordenker.
 
Im 21. Jahrhundert wäre Bertrand Russell nicht minder besorgt: Es ist unbestritten, dass die Digitalisierung Jobs vernichten wird. Zugleich hadern viele von denen, die einen Job haben, mit der Work-Life-Balance. Überarbeitung, Stress, Burn out: so manchem fällt es schwer, Grenzen zu ziehen.  Gemäss dem „Job-Stress-Index“ der Gesundheitsförderung Schweiz beklagt sich jeder vierte Beschäftigte über eine zu hohe Belastung am Arbeitsplatz.
 
In seinem Essay „Lob des Müssiggangs“, der erstmals 1932 unter dem Titel „Praise of Idleness“ erschien, plädiert Russell für eine bessere Verteilung der Arbeit. „Es wird wieder Glück und Lebensfreude geben, statt der nervösen Gereiztheit, Übermüdung und schlechten Verdauung. Man wird genug arbeiten können, und doch nicht bis zur Erschöpfung arbeiten müssen.“
 
Er war nicht der einzige, der fest damit rechnete, dass die Menschen dank des technologischen Fortschritts mehr Freizeit geniessen werden und dies nicht mehr nur das Vorrecht bevorzugter Gesellschaftsklassen sein soll. Auch der Ökonom John Maynard Keynes war in den 1930er-Jahren, vor dem Hintergrund neuer industrieller Organisationsformen und der Massenproduktion, überzeugt, dank der neuen Arbeitsweisen seien künftige Generationen mit einem Übermass an freier Zeit und Musse konfrontiert.
 
Jetzt, vor dem Hintergrund der unumstösslichen Tatsache, dass Digitalisierung und Automatisierung die Arbeitswelt umwälzen, wiederholen sich diese Gedankengänge. Andrew McAfee, Co-Autor des Buches  "The Second Machine Age: Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird", geht davon aus, dass die Produktivität so stark steigen wird, dass sich die Gesellschaft stärkere soziale Netze leisten kann, wie zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das veranlasste die Zeitschrift „Spiegel“ zur Vision, dass der Mensch vor diesem Hintergrund kaum mehr zu arbeiten bräuchte, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
 
Bloss: Es hat sich schon einmal gezeigt, dass eine solche Orientierung am Gemeinwohl ins Reich der Utopien gehört, folgt doch unser Wirtschaftssystem den Prinzipien von Konkurrenz und Wettbewerb.
 
Mindestes vier Hindernisse stehen einem solchen Szenario einer besseren Verteilung der Arbeit im Weg: Eine Gesellschaft, die sich nach wie vor am Wachstum orientiert, eine Politik, die für ein entsprechendes Umdenken keine Mehrheit findet (das bedingungslose Grundeinkommen zum Beispiel wurde im Juni 2016 vom Schweizer Stimmvolk deutlich verworfen) ein Arbeitsmarkt, dessen künftige Jobs nicht mit den Ausbildungen übereinstimmen und Individuen, die vor lauter Überarbeitung nicht mehr wissen, was sie mit der freien Zeit anfangen können.
 
Hinzu kommt, dass die Digitalisierung bereits drauf und dran ist, den Arbeitsmarkt umzukrempeln – wenn Konsumenten über Airbnb eine Wohnung mieten statt ein Hotelzimmer buchen, wenn sie ihre Bankgeschäfte online erledigen statt den Schalter aufzusuchen und wenn sie Uber statt ein Taxi nutzen, dann bleibt dies selbstverständlich nicht ohne Konsequenzen auf die Anzahl und Art und Weise der Arbeitsplätze. Und das sind erst die sichtbaren Veränderungen. Die zunehmende Automatisierung und Intelligenz der Maschinen gefährdet auch Jobs, die über reine Routinetätigkeiten hinausgehen.
 
Die technologischen Entwicklungen, gepaart mit dem veränderten Konsumentenverhalten, lässt nichts Gutes erahnen, was die künftige Verteilung der Arbeit anbelangt. Die Vorstellung, dass jeder einzelne weniger arbeiten muss, weil die Maschinen immer mehr übernehmen, ist zwar schön  - aber wir sollten nicht noch einmal in diese Denkfalle tappen, sondern überlegen, wie künftig das Sozialsystem ausgestaltet sein muss und wie Technologiefirmen, die von diesem Wandel profitieren und ihn vorantreiben, gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Gegenwärtig geht es in die entgegen gesetzte Richtung: Der Faktor Arbeit ist teurer geworden, während Kapital immer tiefer besteuert wird.



Bildquelle: Thinkstock