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Die heimlichen Chefinnen

Veröffentlicht am 23.09.2017
Die heimlichen Chefinnen
Assistentinnen werden oft unterschätzt -  dabei hat sich das Berufsbild stark gewandelt.  
Von Manuela Specker
 
Kaum jemand kennt die Sorgen und Nöte der Sekretärinnen oder eben Assistentinnen besser als Katharina Münk. Sie liess bereits mit ihrem Buch „Und morgen bringe ich ihn um“ nach 20 Jahren als Chefsekretärin tief in die Abgründe der Arbeitswelt blicken und prangerte insbesondere die mangelnde Wertschätzung für ihren Beruf an. Noch in den 80er-Jahren hiess es despektierlich in einem Handbuch für Sekretärinnen: «Geben Sie sich auch optisch so frisch und appetitlich wie der Obstsalat, den Sie servieren.» Und noch heute werden Sekretärinnen bisweilen als Angestellte gesehen, die Briefe öffnen, E-Mails beantworten, Kaffee zubereiten und den ganzen Tag freundlich lächeln.
 
Was für ein Irrtum: „Je mobiler die Führungskräfte werden, desto mehr wird das Sekretariat zum ausgelagerten Systemzugang – stets zu Diensten“, bringt es Katharina Münk auf den Punkt. Sie hat mit ihrem neuen Buch „Mal eben kurz den Chef retten“ nachgedoppelt und beschreibt, wie sich der Beruf der Sekretärin gewandelt hat und wie die Jobinhaberinnen – meistens sind es Frauen – nicht nur Schritt halten, sondern sich auch behaupten und mehr Selbstvertrauen an den Tag legen.
 
Mit den flacheren Hierarchien ist es üblich geworden, dass eine Assistentin gleich für mehrere Führungskräfte arbeitet; die persönliche Assistentin ist auf dem Rückzug. Unverändert ist, dass es als selbstverständlich vorausgesetzt wird, die Gedanken der Chefs, der Chefinnen zu erahnen sowie klug, diszipliniert und diskret zu sein. Nur auf dem Lohnzettel bilden sich diese Umstände, die schon immer komplexer waren als es Begriffe wie „Vorzimmerdame“ oder „Mädchen für alles“ suggerieren, in der Regel nicht ab.
 
Die Anforderungen sind also nicht kleiner geworden, an Wertschätzung hingegen mangelt es nach wie vor in diesem Beruf. Katharina Münk verfällt darob aber nicht in die Opferrolle, sondern legt den Assistentinnen ans Herz, die Wertschätzung selber zu aktivieren und sich von der falschen Bescheidenheit zu lösen. „Machen Sie sich sichtbar. Erzählen Sie mehr von sich.“ Anstatt sich vor den Insignien der Macht zu ducken, soll das Statusspiel mitgespielt werden. Mitspielen sei eine Alternative zum verschämten Distanzieren, zum Persönlichnehmen und zum Nervenzusammenbruch. „Hören Sie einfach auf, in die Freundlichkeitsfalle zu tappen oder in den Lächelreflex zu verfallen.“
 
Abgrenzen ist die grosse Kunst in diesem Beruf. Wer dem Helfersyndrom verfallen ist („Ich mach das schon“), macht sich zwar sehr beliebt. „Aber das ist der Humus für noch mehr Arbeit“, bringt es Katharina Münk auf den Punkt. Gerade wenn man für die oberste Führungsebene tätig ist, für welche die Beschränkungen der Arbeitszeit nicht gelten, kann es heikel werden. Darum sollten auch Assistentinnen ab und zu auf den Tisch klopfen. Aber eben: wie das ankommt, hat auch viel mit den Vorstellungen von Macht und Hierarchien zu tun. Assistentinnen sind sozusagen auf Gedeih und Verderb den Charaktereigenschaften der Führungsperson abhängig. „Wenn der Chef auf den letzten Drücker arbeitet, hinken auch wir ständig hinterher“, so Katharine Münk. Die grosse Herausforderung ist und bleibt die Nähe zu den Führungskräften in einer räumlichen wie zeitlichen Intensität – und dies bei völlig unterschiedlichem Status. Für Assistentinnen ist deshalb gar nicht so sehr entscheidend, für welche Firma sie arbeiten, sondern wie der Mensch tickt, in dessen Dienst sie stehen.  
 
Aber das ist nicht zu verwechseln mit „dienen“. Oft sind sich Assistentinnen nicht einmal bewusst, wieviel Macht sie im Grunde genommen haben. Als Mitwisserinnen zum Beispiel von Einspar- und Kündigungsplänen oder von Hackordnungsspielchen. „Assistentinnen sind Geheimnisträgerinnen, die – rein technisch gesehen – nicht zu ‘hacken’ sind. Insofern gehören sie zu den letzten Datenträgern der analogen Welt und sind in Sachen Datenschutz von unschätzbarem Wert.“
 
((Buchhinweis)): Katharina Münk: Mal eben kurz den Chef retten. Die heimlichen Führungskräfte im Vorzimmer. Campus Verlag 2017.


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