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Der eingebildete Hochstapler

Veröffentlicht am 12.10.2014
Eingebildete Hochstapler - besonders begabte Mitarbeiter - myjob.ch
Warum besonders begabte Mitarbeitende am stärksten an ihren Fähigkeiten zweifeln Sie warten auf den Tag, an dem sie entlarvt werden: manche Leistungsträger halten sich tatsächlich für Hochstapler. Diese Selbstzweifel sind eine Gratwanderung.
- von Manuela Specker -

Sheryl Sandberg schloss ihr Wirtschaftsstudium in Harvard als eine der Besten ab. Danach wurde sie Stabschefin im US-Finanzministerium. Nach einer weiteren Station bei Google ist sie heute COO bei Facebook. Eine Traumkarriere. Und trotzdem war Sandberg einst felsenfest davon überzeugt, im Grunde genommen nicht über die Kompetenzen zu verfügen, die ihr zugeschrieben werden. Die Schauspielerin Meryl Streep kriegt noch heute vor jedem Filmprojekt kalte Füsse und fragt sich, ob sie dazu wirklich in der Lage ist. Die beiden leiden unter dem sogenannten „Hochstapler-Syndrom“: äusserst erfolgreiche Menschen stellen sich und ihre Fähigkeiten permanent in Zweifel. Auch Alexander Hirschmann hat als Autor in der „Süddeutschen Zeitung“ unlängst seinen Zweifeln Luft gemacht. „Das Gefühl ist eine Ahnung, die eigentlich eine Gewissheit ist: Eines Tages fliegt alles auf. Eines Tages fliegt auf, dass ich in Wahrheit gar nichts kann“, beschreibt er ein Lebensgefühl, mit dem er nicht alleine ist.
 
Das so genannte Impostor-Phänomen wurde erstmals Ende der 1970er-Jahre von den amerikanischen Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes beschrieben. Seither haben Umfragen bestätigt, dass mehr als die Hälfte sich mindestens einmal im Leben gefragt haben, ob sie von ihrem Umfeld nicht überschätzt werden. “Auslöser für das Syndrom ist nicht selten die Suche nach Perfektion. Die Betroffenen setzen sich selbst schlicht zu hohe Ziele”, meinen die beiden Blogger Daniel Rettig und Jochen Mai, die in ihrem gemeinsamen Buch psychologischen Gesetzen und Phänomenen auf den Grund gehen, die unser Verhalten bestimmen. Ihrer Erfahrung nach sind generell Leute, die überdurchschnittlich gebildet sind und überdurchschnittliche Leistungen erbringen, davon betroffen, mit einem höheren Anteil an Frauen.
 
Typische Erziehungsmuster scheinen dafür verantwortlich zu sein: Während bei Jungen das Bluffen und Übertreiben eher goutiert wird, lernen Mädchen früh, sich kritisch zu hinterfragen und Fehler auf die eigene Person zu beziehen. Vor allem in Jobs, wo sie die Minderheit darstellen, sind sie anfällig auf das Hochstapler-Syndrom. Das hat mit dem Druck zu tun, überdurchschnittliche Leistungen zu erzielen, um überhaupt wahrgenommen zu werden.
 
In der Wissenschaft ist das Hochstapler-Syndrom ein bekanntes Phänomen. Und damit sind nicht etwa Figuren wie Karl-Theodor zu Guttenberg gemeint, die in ihrer Dissertation über weite Teile abgeschrieben und sich ihren Titel somit erschwindelt haben. Es sind im Gegenteil Wissenschaftler, die oft zu den besten ihres Faches gehören, die aber überzeugt davon sind, dass ihre Umwelt sie besser und kompetenter einschätzt, als sie in Tat und Wahrheit sind. Sie führen ihren Erfolg in erster Linie auf Zufall und Glück statt auf ihr eigenes Können zurück. Monika Klinkhammer und Gunta Saul-Soprun haben diese eigenartige Diskrepanz untersucht und kommen zum Schluss, dass das Hochstapler-Syndrom nicht einfach auf generelle Minderwertigkeits-Gefühle zurückgeführt werden kann, sondern Ausdruck einer besonderen Begabung ist. „Es handelt sich in der Regel um sympathisch wirkende, zurückhaltende Personen, die lieber in der zweiten Reihe stehen. Sie erscheinen eher unauffällig, aber ohne sie geht gar nichts“, meinen die Autorinnen.
 
Gegen ein gesundes Mass an Selbstzweifeln ist nichts einzuwenden, im Gegenteil: Das permanente Hinterfragen seiner eigenen Leistungen schützt vor Selbstzufriedenheit. Der Personalexperte Gilbert Dietrich bringt eine erfrischend neue Perspektive in die Problematik: Wer ambitioniert sei und sich nicht ab und zu frage, was er da eigentlich mache und ob das nicht alles eine Nummer zu gross sei, der sei schlicht unzurechnungsfähig. Selbstzweifel seien allemal besser als der so genannte Dunning-Kruger-Effekt. Hier fehlt den Betroffenen die intellektuelle Kapazität, ihre eigene Beschränktheit überhaupt zu erkennen. „Solche Leute scheinen mir viel mehr Schaden anzurichten, als die, die auch mal an sich zweifeln“, so Gilbert Dietrich. Problematisch wird das Hochstapler-Syndrom dann, wenn die eigene Einstellung, nicht gut genug zu sein, irgendwann zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird – und Karriereschritte ausgeschlagen werden in der Annahme, es nicht zu schaffen.