Maria Müller über ihren Traumberuf auf der Alp und warum sie nicht in einem Büro arbeiten möchte.
Die Natur bestimmt ihren Arbeitsrhythmus: wie die Älplerin Maria Müller zu ihrer Bestimmung gefunden hat – und warum genau dies so vielen Menschen schwer fällt.
Von Manuela Specker
Frau Müller, Sie leben Ihren Traum und bewirtschaften von Frühling bis Herbst eine Alp, in der übrigen Zeit gehen Sie saisonalen Jobs nach. Das weckt bei manchen Arbeitnehmern, die einem Bürojob nachgehen, die Sehnsucht, es Ihnen gleich zu tun. Können Sie das nachvollziehen?
Maria Müller*: Durchaus. Wer immer gestresst ist, sehnt sich etwas Bodenständiges, Erdverbundenes herbei. In meiner Arbeit habe ich den grossen Vorteil, dass ich mich niemandem gegenüber verkaufen oder profilieren muss. Ich arbeite für mich. Allerdings vergessen die Leute gerne, dass diese Unabhängigkeit einen hohen Preis hat. Auch ich habe Stress. Auf der Alp stehe ich um 4 Uhr morgens auf und komme nicht vor 21 Uhr ins Bett. Ich muss bei jedem Wetter raus, auch bei minus 10 Grad. Und ich lebe ein bescheidenes Leben.
Sie sind aber offenbar lieber den Launen der Natur als den Launen eines Chefs ausgesetzt?
Das ist ein guter Vergleich. Ich spüre eine grosse Sinnhaftigkeit in meiner Arbeit. Die Kühe müssen gemolken und die Milch zu Käse verarbeitet werden. Ich weiss, was ich tue, statt fremdbestimmt zu sein und mich immer schneller in einem Hamsterrad drehen zu müssen. Mit meiner Arbeit bin ich Teil vom Rad der Welt, in der Authentizität zählen und nicht Selbstvermarktung. Den Tieren kann ich nichts vormachen. Je authentischer ich mich verhalte, desto einfacher ist es. mit ihnen zu arbeiten. Und ich habe mich nach dem Wetter zu richten.
Die romantischen Vorstellungen sind aber nicht aus den Köpfen zu kriegen.
Ja, das Leben auf der Alp ist anders, als es sich die Leute gemeinhin vorstellen. Da muss man den Gesetzen der Natur gehorchen. Einmal sah ich von weitem, dass ein heftiges Gewitter im Anzug ist, weshalb ich die Kühe eine Stunde früher als üblich in den Stall holten wollte. Als ich bei den Tieren ankam, hatte sich bereits eine riesige schwarze Wand über den Bergen gebildet, die sich im Schnelltempo vorwärts bewegte. Ich trieb die Kühe abwärts Richtung Stall, als es so heftig zu hageln anfing, dass sich Dellen auf meiner Haut bildeten. Ich dachte nur: hoffentlich passiert den Tieren nichts. Ich hatte Glück, aber die Nachbarin, welche die Tiere zur gewohnten Stunde holen wollte, verlor drei Kühe. Das sind sehr traurige Momente.
Hat sich durch Ihre Arbeit der Bezug zu den Tieren verändert?
Ja. Am Anfang habe ich einfach 26 Kühe auf der Weide gesehen und sie nicht unterscheiden können. Danach fielen mir die unterschiedlichen äusserlichen Merkmale auf und schliesslich die unterschiedlichen Charaktere. Tiere sind viel tiefgründiger und intelligenter, als wir meinen. Menschen neigen dazu, sie in ihrem Wesen zu unterschätzen.
Warum gelingt es den wenigsten, ihre Passion zum Beruf zu machen, so wie Sie es tun?
Die meisten spüren halt einen starken Wunsch nach immer mehr Geld, Status und Ansehen und merken gar nicht, in was für Abhängigkeiten sie sich dadurch begeben. Da ist man dann Verpflichtungen ausgesetzt, die einen Aus- oder Umstieg schwierig bis unmöglich machen. Irgendwann kommt der Moment, wo sie nicht mehr merken, was ihnen guttut. Wenn das nicht reflektiert wird, hilft auch der Aufenthalt auf der Alp nicht weiter. Dort gibt es keine Ablenkungen, so dass die eigenen Probleme, denen man sich im hektischen Alltag nicht stellen muss, erst recht zum Vorschein kommen.
Wie haben Sie zu Ihrer Bestimmung gefunden?
Ich habe mir dafür zehn Jahre Zeit gelassen und alles möglich ausprobiert. Ich war unter anderem als Glasmalerin tätig, als Krankenpflegerin im Spital und als Schreinerin bei einem Zimmermann. Damals war mir noch nicht klar, dass ich das Sennen zu meinem Beruf machen möchte. In meinem ersten Sommer auf der Alp wusste ich: das ist es. Anderen sind vielleicht das Prestige und die Verdienstmöglichkeiten wichtiger. Ich will einfach authentisch sein in dem, was ich tue. Meine Familie hat mir zwar ganz stark vermittelt, wie wichtig eine gewisse Sicherheit im Job ist. Es war nicht ganz einfach, sich von diesen Normen zu lösen und einen anderen Weg zu gehen. Diesen Sommer habe ich noch die Landwirtschaftsschule abgeschlossen. Ich möchte gerne einen Hof übernehmen und sesshaft werden. Als alleinstehende Frau in traditionellen, patriarchalen Strukturen ist das natürlich nicht ganz einfach.
Und trotzdem glauben Sie daran.
Ja. Es braucht sicher viel Geduld, und man muss Vertrauen schaffen. Viele Höfe werden innerhalb der Familie weitergeben, oder der Pächter kommt zum Zug. Aber ich weiss, dass meine Chance kommen wird.
*Maria Müller (40) bewirtschaftet von Mai bis September die Bussalp bei Grindelwald. Sie ist eine von 15 porträtierten Älplerinnen im soeben erschienen Buch „Traum Alp“ von Daniela Schwegler und Vanessa Püntener (Rotpunktverlag, 2013).
Foto von Vanessa Püntener