Lassen Sie sich nichts aufs Auge drücken
Frust und Stress am Arbeitsplatz sind oft selbst produziert – die Negativspirale lässt sich durchbrechen
Laut Umfragen fühlen sich 41 Prozent der Erwerbstätigen psychisch und nervlich belastet. Tatsache ist: Die Arbeitswelt kann hart sein. Deswegen aber ist man Widrigkeiten nicht einfach ausgeliefert.
Von Vera Sohmer
Die Kollegen sind schuld. Die Abteilungsleiterin und das Management sowieso. Es liegt an der Unternehmenskultur, der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, den Gesetzen der Globalisierung. Kurzum: Auch die Grosswetterlage ist drückend und überhaupt sind alle gegen mich. Logisch, macht mir meine Arbeit keinen Spass mehr.
Faule Ausreden? Aber sicher, schreibt Laufbahnberaterin Regula Zellweger in ihrem Ratgeberbuch. Ausflüchte kennt jeder, wir alle benutzen sie manchmal. Weil es bequem ist und einfach erscheint. Insgeheim aber wissen wir: Es ist Selbstbetrug, sich als Opfer garstiger Umstände zu betrachten. Sich einzureden, es ja eh nicht ändern zu können. Zudem sind die Folgen fatal, weil man dabei immer tiefer ins Jammertal rutscht und dort zu verharren droht. Und auch Sympathien verspielt. Niemand mag sich dieses Lamento auf Dauer anhören.
Es empfiehlt sich eine Gegen-Strategie. Lernen, dass Ereignisse im Leben sehr wohl zu beeinflussen sind, und zwar positiv. Diese Einstellung bewahrt davor, für Misserfolge andere verantwortlich zu machen. Oder sich etwas zu konstruieren, das nüchtern betrachtet absurd anmutet, etwa: „Hätte ich Kleidergrösse 36, wäre ich sicher befördert worden.“ Die Opferrolle zu verweigern, stärkt die Eigenverantwortung, den Selbstwert und bringt einen weiter. So lassen sich auch Niederlagen eingestehen und besser verarbeiten: „Ich hätte von mir aus kündigen müssen, das war längst absehbar. Ich wäre der Entlassung zuvor gekommen.“
Klingt nach der Binsenweisheit, wonach jeder seines Glückes Schmied sei. Regula Zellweger will nichts schön reden. Die Arbeitswelt sei schon heute turbulent, von Erwerbstätigen werde künftig noch mehr erwartet. Anpassungsfähigkeit, Durchhaltevermögen, Eigeninitiative und Mobilität gehören dazu. Dies alles packen Berufsleute aber nur mit der richtigen Haltung: Das, was man tut, mit Würde tun, und selbst etwas unternehmen gegen Frust, Hänger und Überforderung. Darüber hinaus ein Sensorium entwickeln, wo die Fallstricke liegen. Darauf warten, bis es von selbst besser wird, ist einer davon.
Ein Motivationstief beispielsweise legt sich nicht automatisch. Wer darunter leidet, muss es aktiv angehen. Erst recht, wenn es sich seit längerem eingeschlichen hat. Was helfen kann: Sich klar machen, dass zu jeder Arbeit unliebsame Aufgaben gehören. Oder das, was man nicht liebt, im Zeitrahmen sehen und es aushalten. Motto: „Dieses Projekt dauert drei Wochen, das wirst du überleben.“ Oder sich Bestätigung beim Hobby nach Feierabend holen. Damit sei die Erwartung, die Arbeit müsse „Seelennahrung“ liefern, nicht mehr so hoch.
Überzogene Erwartungen an den Job und an sich selbst. Auch dies kann zu Frust führen und Stress verursachen. Perfektionisten können ein Lied davon singen. Sie sind mit ihrer Arbeit selten zufrieden, oft zu ausführlich und zu genau. Und haben sich längst in Details verstrickt, die nichts mehr bringen und nur noch Zeit vergeuden. Dabei reicht es, gewissenhafte und gute Arbeit abzuliefern.
Andere haben nicht verinnerlicht, dass sie die „Lizenz zum Nein sagen“ haben, findet Regula Zellweger. Jemand, der sich ständig Aufgaben aufs Auge drücken lässt, dagegen innerlich aber längst rebelliert, tut sich keinen Gefallen. Zeit geht verloren und die Arbeitsmoral flöten. Demotiviert arbeiten kostet noch mehr Zeit, ganz zu schweigen vom Frust- und Wut-Pegel, der von mal zu mal steigt.
Nein sagen ist lernbar. Am besten lässt sich dabei stufenweise vorgehen. Erst einmal um Bedenkzeit bitten und sich überlegen: Ist die Sache wichtig und dringend? Kann und will ich das zusätzlich leisten? Gehört es in mein Pflichtenheft? Wie ist das Verhältnis zum anderen? Stimmt die Balance von Geben und Nehmen? Etwas ablehnen funktioniert am besten auf diplomatische Art. Vorschlag: „Meine Pedenzenliste ist ohnedies schon lange. Wenn Sie mir sagen, was ich wem delegieren oder weglassen soll, übernehme ich die Aufgabe gerne.“ Dann cool bleiben und zuwarten, was passiert.
Buchtipp: Regula Zellweger, „Jobwohl – zufrieden am Arbeitsplatz“, Beobachter-Buchverlag
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