Alle reden von flexiblen Arbeitszeiten. Dabei wäre eine flexible Bürogestaltung genauso wichtig für die Zufriedenheit der Mitarbeitenden.
Von Manuela Specker
Ungestört und konzentriert arbeiten? In vielen Betrieben Fehlanzeige. Die Bürolandschaften richten sich heute nach dem „Wir“-Gefühl und einer vermeintlich optimalen Zusammenarbeit. Die Folge: Grossraumbüros haben sich auf breiter Front durchgesetzt. „In einigen Unternehmen ist diese Entwicklung zu weit gegangen, es herrscht ein Ungleichgewicht zwischen Interaktion und Privatsphäre“, meint Chris Congdon von der auf Raumlösungen spezialisierten Steelcase.
Viele Firmen hätten noch nicht erkannt, dass erfolgreiche Zusammenarbeit auch individuelle, private Rückzugsräume benötigt. „Der Mangel an Rückzugsmöglichkeiten wirkt sich negativ auf Kreativität, Produktivität und das Engagement der Mitarbeitenden aus“, so Congdon. Zu diesem Schluss kommen auch Untersuchungen der Arbeitspsychologin Charlotte Sust: Die Leistungsfähigkeit sinkt um bis zu 30 Prozent, wenn man sich in seiner Konzentration gestört fühlt.
Die breit angelegte internationale Studie „Wohlbefinden am Arbeitsplatz“ des Marktforschungsinstitutes IPSOS bestätigt, dass es bei der Arbeitsumgebung nicht zum Besten steht: Jeder zweite Angestellte fühlt sich regelmässig unterbrochen und aus seiner Arbeit rausgerissen. Und über ein Drittel gab an, sich am Arbeitsplatz nicht konzentrieren zu können. Die Gründe, weshalb Mitarbeitende mehr Privatsphäre wünschen, variieren je nach Persönlichkeit, Gefühlslage, Kultur oder Aufgabengebiet. Das Bedürfnis nach Rückzugsmöglichkeiten schwankt im Laufe eines Arbeitstages – je nachdem ob Routineaufgaben anstehen oder Arbeiten, bei denen man sich stark konzentrieren muss.
Neue Bürolandschaften werden dieser Erkenntnis gerecht. Als Paradebeispiel gilt der Neubau der Post in Bern-Wankdorf, wo den Mitarbeitenden gar kein fester Arbeitsplatz mehr zugeteilt ist. Stattdessen holen sie sich Laptop und Unterlagen aus dem Schliessfach, wo sie nach Arbeitsschluss auch wieder versorgt werden; das sogenannte Desk-Sharing setzt eine „Cleandesk“-Policy voraus.
Mit diesem Büromodell geht zwar Privatsphäre verloren, weil man sich jeden Tag von neuem einen Arbeitsplatz suchen muss. Zugleich sind die Voraussetzungen geschaffen worden, um den Ort des Arbeitens mehr nach den eigenen Bedürfnissen richten zu können. Neben dem klassischen Grossraumbüro gibt es auch einen separaten Arbeitsraum für Teams. Für Telefongespräche, Besprechungen oder einfach konzentriertes Arbeiten können sich die Mitarbeitenden in Glaskabinen zurückziehen. Sogar ein Stillzimmer oder ein Eltern-Kind-Zimmer stehen zur Verfügung – falls der Nachwuchs ausnahmsweise mit ins Büro genommen werden muss.
Desksharing ist nicht nur die Folge einer besseren Platzausnutzung und somit tieferen Kosten. Auch der technologische Fortschritt macht einen festen Büroarbeitsplatz vielerorts überflüssig. In den meisten Firmen ohne Desk-Sharing sind allerdings fest installierte Techniklösungen noch immer die Norm und mobile Technologien die Ausnahme. Mit anderen Worten: Der PC und das Festnetztelefon werden zu wenig hinterfragt. „Der durchschnittliche Mitarbeitende wird durch veraltete Technologien sprichwörtlich an seinen Schreibtisch gefesselt", sagt Stephan Derr von Steelcase.
Desk-Sharing wiederum stösst zu recht noch auf viel Unbehagen – der Mensch im 21. Jahrhundert ist nun mal ein territoriales Wesen und kein Nomade. Forschende der University of Exeter (GB) haben herausgefunden, dass Mitarbeitende zufriedener sind und mehr leisten, wenn sie die Arbeitsumgebung personalisieren dürfen. Eintönige und uniforme Umgebungen sind der Kreativität eher hinderlich.
Die ideale Bürolandschaft gibt den Mitarbeitenden die Möglichkeit, selber zu entscheiden, wie sie gerade arbeiten möchten. Chris Congdon spricht von einem Ökosystem, das offene, abgeschirmte und geschlossenen Räumen umfasst. „Der Schlüssel ist die richtige Balance zwischen kollektiven Arbeitsplätzen und stillen Kämmerlein.“
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