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Raus aus der Sinnkrise

Veröffentlicht am 27.07.2014
Sinnkrise - Desorientierung - Raus aus der Sinnkrise - myjob.ch
Raus aus der Sinnkrise Weshalb gerade zwischen 35 und 45 eine berufliche Desorientierung droht
Vieles erreicht und trotzdem unzufrieden: wie Arbeitnehmende der grossen Leere in der Lebensmitte begegnen können. 
 
Von Manuela Specker
 

Es gab einmal eine Zeit, da war der berufliche wie private Weg deutlich vorgespurt: eine sichere Stelle nach der Ausbildung, Heirat, Kinder – und dann mit 50 die Beförderung in eine höhere, verantwortungsvolle Position. Unter diesen Umständen war es vergleichsweise einfach, den Ansprüchen gerecht zu werden, welche Beruf, Partnerschaft oder Familie stellen. Im 21. Jahrhundert ticken die Uhren anders. «Immer jüngere Leute werden in höchst verantwortungsvolle Jobs befördert», sagt der Organisationspsychologe Cary Cooper. „Darum kommt auch die Enttäuschung früher und damit die Frage: Was mache ich bloss die nächsten 25 Jahre?»

Cary Cooper schneidet gleich zwei mögliche Gründe für die so genannte Mid-Career-Crisis an, welche die Arbeitnehmenden in der Regel zwischen 35 und 45 erfasst. Da ist zum einen die Tatsache, dass sich ab 40 bestimmte Karrierewege schliessen, wenn man es bis dahin nicht geschafft hat. Zum anderen stresst die Gleichzeitigkeit von Beruf und Privatleben: die Phasen, die im Berufs- und Privatleben den grössten Einsatz erfordern, überlagern sich zeitlich und erfolgen nicht mehr wie früher gestaffelt.

Das nährt das schlechte Gewissen, und zwar sowohl bei Männern wie bei Frauen. Sollte man sich vielleicht doch mehr um die Familie kümmern? Könnte man tagsüber im Büro nicht viel mehr leisten, wenn die Kinder endlich durchschlafen würden? So gesehen, kann man es kaum jemanden recht machen. Nach vielen Jahren im selben Job macht sich zudem nicht selten Monotonie breit, völlig unabhängig von der Funktionsstufe.

Dass sich also ausgerechnet zwischen 35 und 45 Jahren eine berufliche Sinnkrise meldet, ist völlig normal – nur schon weil in diesem Alter sich nahezu jeder fragt, was man ursprünglich anfangen wollte mit seinem Leben und was man tatsächlich erreicht hat. Im Alter verändern sich Prioritäten, Werte und Wünsche. Niemand weiss dies besser als Gail Sheehy, jene Amerikanerin, die in den 1970er-Jahren dem Begriff „Midlife-Crisis“ zum Durchbruch verholfen hatte. Die Eingeschränktheit, die uns bewusst werde, sei das Ergebnis der Entscheidungen, die wir zwischen 20 und 30 getroffen haben und die damals sicher ihre Richtigkeit hatten. „Doch nun tauchen plötzlich neue Bedürfnisse auf“, so Sheehy.

Die Kunst liegt daran, die richtigen Veränderungen in die Wege zu leiten. Das erfordert einen enormen Kraftaufwand – ein Vorhaben, das gerade dann auf der Strecke bleibt, wenn Verantwortung eben nicht nur im Job, sondern auch im familiären Umfeld gefragt ist. Hinzu kommt, dass das Finden einer neuen beruflichen Identität in hohem Masse eine individuelle Angelegenheit ist und es in der Regel keine Vorläufer gibt, auf die man zurückgreifen kann. „Eine berufliche Neuorientierung ist oft ein schwieriger, keineswegs linearer Prozess, bei dem die ganze Person gefordert ist“, so Brigitte Scheidt, Diplompsychologin und Autorin des Ratgebers „Neue Wege im Berufsleben“.
 
Es wäre ein Trugschluss zu meinen, ein Berufswechsel bringe das grosse Glück. Manchmal braucht es lediglich kleine Veränderungen, die aber eine grosse Wirkung erzielen. «Manchmal reicht schon ein klärendes Gespräch mit dem Chef, um einen Missstand aus der Welt zu räumen. Manchmal hilft ein Wechsel in eine andere Abteilung.» Aber manchmal müsse man auch darüber nachdenken, den Arbeitgeber oder sogar die Branche zu wechseln. «Bei vielen Problemen bringt es schon etwas, wenn man mit der gleichen Tätigkeit in eine Branche wechselt, in der eine andere Kultur herrscht», sagt Scheidt. Ist mehr Gestaltungsfreiraum erwünscht? Ein Umfeld, das weniger hierarchisch geprägt ist? Entscheidend ist, sich über seine neuen Prioritäten Klarheit zu verschaffen – vor allem dann, wenn man sich bis anhin vor allem an äusseren Werten orientiert hat, an Status und Macht als vermeintliche Quellen der Zufriedenheit.
 
Die Taktik der kleinen Schritte ist nur schon deshalb vielversprechend, weil in der beruflichen Sinnkrise selten ein radikaler Wechsel möglich ist. «Oft sind die Lebenshaltungskosten so hoch, dass sich die wenigsten leisten können, eine neue, vielleicht schlechter bezahlte Aufgabe zu suchen. Sie sind mit goldenen Fesseln an einen Job gebunden, der ihnen je länger, je mehr verhasst ist », bringt es Cary Cooper auf den Punkt. Er rät, nicht erst zu handeln, wenn die grosse Krise da ist, weil auf abrupte Laufbahnwechsel kaum jemand vorbereitet ist. Es sei besser, den Lebensstil permanent auf einem Niveau zu halten, das auch Lohneinbussen verträgt.

Foto: iStock