Wer im Job kürzer treten und Verantwortung abgeben will, braucht viel Nerven. Das so genannte „Downshifting“ hat seine Tücken.
Von Manuela Specker
Führungspositionen üben einen grossen Reiz aus. Endlich einmal mehr Verantwortung übernehmen, sowohl fachlich wie personell - die klassische Karriere ist noch immer stark an diesem Modell ausgerichtet. Was aber die wenigsten bedenken, die in eine Chefposition rutschen oder diese bewusst anstreben: Der Weg zurück ist oft schwieriger, als die Karriereleiter hinaufzuklettern. Wer sich aus einer Chefposition heraus auf einen Job bewirbt, der nicht mehr mit Führungsverantwortung verknüpft ist, wird erst einmal kritisch beäugt: Ist er überfordert? Will er nun eine ruhige Kugel schieben? Dabei möchte die betroffene Person oft lediglich die Prioritäten im eigenen Leben anders setzen.
„Downshifting“ nennt sich dies im Fachjargon. „Downshifter passen nicht in unser Karrieremuster, deshalb stehen sie sofort unter Verdacht, dass bei ihnen etwas nicht stimmt“, sagt etwa Führungskräfte-Coach Elisabeth Strack. Oder es werden ihnen bestimmte Absichten unterstellt. Zum Beispiel, dass sie nur noch die Jahre bis zur Pensionierung absitzen wollen, oder dass sie den Job als Sprungbrett für grössere Aufgaben nutzen wollen. „Downshifter“ müssen sogar damit rechnen, dass ihnen mangelndes Engagement vorgeworfen wird. Ähnlich wie das auch heute noch Mitarbeitende erleben, die nur das Arbeitspensum reduzieren möchten – selbst wenn im Leitbild der betreffenden Firma die „Work-Life-Balance“ hochgehalten wird.
Die Berliner Karrieretrainerin Petra Bock stellt immer wieder fest, dass Menschen, welche beruflich einen Schritt zurücktreten wollen, sich nicht nur fragen, wie wohl das Umfeld reagieren wird, sondern selber von grossen Zweifeln geplagt sind: Was stimmt nicht mit mir? Zerstöre ich mir damit meinen bisher tadellosen Lebenslauf? Oft gehe es in ihrer Beratungstätigkeit darum, den Betroffenen Mut zu machen. „Manche wünschen sich von mir geradezu die Erlaubnis, von Karrierekarusell absteigen zu dürfen“, so Petra Bock gegenüber der „Wirtschaftswoche“.
Die Gründe für den Wunsch nach einem beruflichen Kürzertreten sind vielfältig: Wertvorstellungen, die sich mit dem Alter verschieben, veränderte Lebensumstände, oder schlicht und einfach der Wunsch, wieder mehr fachliche Aufgaben zu übernehmen oder nicht mehr ständig erreichbar sein zu wollen. Angie Sebrich beispielsweise, die ehemalige Kommunikationschefin des Musiksenders MTV, leitet heute eine Jugendherberge – und verdient nur noch einen Drittel ihres ehemaligen Gehalts.
Die Lohneinbusse, die mit einem Downshifting einhergeht, ist für viele ein Grund, am Bestehenden festzuhalten. Sogar wenn keine speziellen finanziellen Verpflichtungen bestehen und das Geld durchaus reichen würde, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Das liegt daran, dass Menschen dazu neigen, den Einfluss des Einkommens auf die eigene Lebenszufriedenzeit zu überschätzen. In der Hektik des Arbeitsalltags und mit all den Ansprüchen, die das Privatleben an einen stellt, wird zudem kaum über die eigene Bedürfnisse reflektiert. Stattdessen lassen sich viele ihre Karriere von Aussen bestimmen, die Gehaltssteigerungen sind verlockend, und man gewöhnt sich schnell an den steigenden Lebensstandard.
Wer ein Downshifting trotzdem wagt, muss seinen Schritt gut begründen können – eben weil die Betreffenden in einem Bewerbungsprozess sonst schnell einmal als überqualifiziert gelten oder in der bestehenden Firma mit dem Vorwurf des mangelnden Commitments konfrontiert sind. In diesem Fall sollten sich die Betreffenden fragen, ob ihre Wertvorstellungen tatsächlich noch mit jenen des Arbeitgebers übereinstimmen.
Gerade Führungskräfte, die in Zukunft kein Personal mehr führen wollen, haben ein schlagkräftiges Argument zur Hand, ohne allzu persönlich Dinge über sich verraten zu müssen: Der Wunsch, sich in Zukunft wieder mehr der eigentlichen Arbeit widmen zu können anstatt sich mit Personalfragen und interner Firmenpolitik auseinandersetzen zu müssen.
Downshifting scheint also nur auf dem Papier einen Schritt rückwärts zu bedeuten. In Tat und Wahrheit bedeutet es für viele Betroffene eine Weiterentwicklung auf persönlicher Ebene. Oder, wie es eine „Downshifterin“ ausdrückt: „Ich verdiene halb so viel, aber ich lebe doppelt so gut.“
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