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Hilfe, ich bin eine Frau!

Veröffentlicht am 05.10.2014
Karrierechancen bei Frauen - myjob.ch
Warum das Geschlecht nach wie vor ein Karrierehindernis ist Haben Frauen die gleichen Karrierechancen wie Männer, und ist der Aufstieg lediglich eine Frage des Willens und des Ehrgeizes? Karrierecoach Martin Wehrle zeigt in seinem neuen Buch, warum das eine Illusion ist.
- von Manuela Specker -
 

Frauen im gebärfähigen Alter werden in Vorstellungsgesprächen mit Fragen konfrontiert, denen sich ein Mann nie stellen muss. Trickreich wird jeweils versucht, mehr über die Familienpläne herauszufinden, obwohl dies verboten wäre. Darum wird indirekt gefragt, und das klingt dann etwa so: „Können Sie sich vorstellen, irgendwann Teilzeit zu arbeiten“?  Oder: „Mal angenommen, unsere Firma würde Ihnen ein Traumhaus nach Ihren Wünschen bauen, welche Räume hätten Sie dort gern?“
 
Im Zweifelsfall wird in solchen Firmen der Mann vorgezogen. Besitzt eine bestehende Mitarbeiterin die Frechheit, schwanger zu werden, muss sie damit rechnen, nach ihrer Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub auf dem Abstellgleis zu landen. Vermeintliche Fürsorge entpuppt sich als subtile Form der Diskriminierung.
 
Der Karrierecoach Martin Wehrle  kennt solche Fälle nur zu gut. Von gleichen Karrierechancen kann auch im 21.Jahrhundert nicht die Rede sein. Aber anstatt einen der üblichen Ratgeber oder eine trockene Gesellschaftsanalyse zu schreiben, verpackt er seine Kritik und seine Ratschläge in eine neue Form: Im soeben erschienenen Buch „Herr Müller, Sie sind doch nicht schwanger!?“ wacht ein Mann – der erfolgreiche  Marketing-Leiter Peter Müller - eines Morgens plötzlich im Körper einer Frau auf. Fortan muss er sich als Petra Müller im Berufsleben behaupten und kriegt am eigenen Leib zu spüren, mit welchen Vorurteilen Frauen konfrontiert sind und welche Hürden sich ihnen in den Weg stellen.  Diese Übungsanlage ist nur schon deshalb vielversprechend, weil Martin Wehrle so auf subtile Weise, ganz ohne den Moralfinger zu heben, aufzeigen kann, warum das Berufsleben von so mancher Frau für jeden Mann ein Skandal wäre.
 
Martin Wehrle widerlegt mit seinem Buch die weit verbreitete Ansicht, wonach Frauen heute dieselben Karrierechancen hätten, wenn die denn nur wollten. Auch die neusten Entwicklungen in Gleichstellungsbüros und Schlichtungsbehörden  sprechen für sich: laut „Tages Anzeiger“ werden wieder mehr Fälle gemeldet, bei denen angehende Mütter von ihren Arbeitgebern gemobbt werden. Beim Gleichstellungsbüro der Stadt Zürich gingen im Jahr 2009 rund 30 Anfragen zum Thema Schwangerschaft am Arbeitsplatz ein, 2013 waren es bereits 65. Andere betroffene Frauen melden sich gar nicht erst, weil sie Nachteile für ihr künftiges Berufsleben befürchten.
 
Es sind längst nicht nur Schwangere oder Frauen im gebärfähigen Alter, denen sich Hürden in den Weg stellen.  Noch heute wird bei Frauen mehr auf das Äussere geachtet als bei Männern. Noch heute müssen Frauen in einem männerdominierten Berufsumfeld damit rechnen, dass ihnen nicht dieselben Privilegien zustehen oder zum „Mädchen für alles“ werden, trotz gleicher Ausbildung und Hierarchiestufe. Noch heute wird eine Frau, die sich alleine in einem leitenden Männer-Gremium behauptet, von informellen Treffen automatisch ausgeschlossen – ausgerechnet von jenen Treffen, in denen die Grundlagen für die nächste Beförderung gelegt werden. „Ohne Vitamin B können sie in der Führungsetage nichts werden“, lässt Martin Wehrle im Buch seinen fiktiven Karriereberater Ansgar Seidel sagen. Auch das eine Stärke des Buches: Wehrle beschränkt sich nicht etwa darauf, die Missstände aufzuzeigen, sondern lässt immer wieder sein Alter Ego mit wertvollen Ratschlägen zu Wort kommen.  Die fiktive Geschichte macht das Buch zeitweise etwas geschwätzig, aber angesichts der Vielzahl an Ratgebern, die nach dem immer selben Schema ablaufen und oft eben doch nur an der Oberfläche kratzen, nimmt man das als Leser gerne in Kauf.
 
Auch hütet sich Martin Wehrle davor, Frauen als Opfer eines unveränderlichen Systems darzustellen. Vielmehr ermuntert er sie dazu, sich zuerst systemkonform zu verhalten und berechnend nach einflussreichen Jobs zu angeln und Allianzen zu schmieden, anstatt in der Rolle der fleissigen Biene zu verharren und das Licht unter den Scheffel zu stellen. Mit anderen Worten: das System durchschauen, sich den Regeln anpassen  – um danach, mit mehr Macht ausgestattet, die heutige Beförderungslogik zu verändern. Das bedingt, mehr macht- anstatt  sachorientiert zu sein. Frauen stehen sich in der Karriere also durchaus auch selber im Weg. Das darf trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ehrgeiz und Wille für eine Karriere längst nicht immer ausreichen.  Die Macht der Vorurteile kann zum unüberwindbaren Hindernis werden – Frauen, die nach dem Mutterschaftsurlaub an den Arbeitsplatz zurückkehren und plötzlich als weniger produktiv gelten, wissen das nur zu gut.
 
(Buchhinweis) Martin Wehrle: „Herr Müller, Sie sind doch nicht schwanger?!“ Warum das Berufsleben einer Frau für jeden Mann ein Skandal wäre. Mosaik Verlag, 2014