Trotz zunehmender Skepsis fungiert der «Dr.» in der Privatwirtschaft nach wie vor als Türöffner. Der Doktortitel ist in Verruf geraten – zu Unrecht, wie ein Blick auf die Karrierechancen in der Privatwirtschaft zeigt.Die Bedeutung des MBA-Titels nimmt aber überproportional stark zu.
- von Manuela Specker -
Mit Karl-Theodor zu Guttenberg wurde die öffentliche Wahrnehmung erstmals im grossen Stil auf die faulen Eier unter den Dissertationen gelenkt. Der ehemalige deutsche Verteidigungsminister musste 2011 zurücktreten, nachdem er des Plagiats überführt worden war. Dasselbe Schicksal ereilte vor kurzem die – nun ebenfalls ehemalige – deutsche Bildungsministerin Annette Schavan. In der Schweiz steht Christoph Mörgeli im Kreuzfeuer der Kritik, allerdings nicht als Verfasser, sondern als Betreuer von Dissertationen, die laut einem Bericht der «Rundschau» auf Transkriptionen statt auf eigenen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen.
In Internetforen rumort es gewaltig. Da ist die Rede vom «Plagiatortitel», den man gleich abschaffen könne. Ob solch pauschaler Verurteilungen stellt sich die Frage, was ein Doktortitel ausserhalb der Hochschulen heutzutage überhaupt noch wert ist.
Fest steht: Es gibt nach wie vor Führungspositionen, für die ein Doktortitel als Türöffner dient oder gar eine Voraussetzung ist wie in forschungsorientierten Bereichen bei Chemie- oder Pharma-Unternehmen oder in Museen und Archiven. Auch in der Finanzbranche oder bei Beratungsunternehmen macht sich ein Doktortitel gut. Denn wer auf mehreren hundert Seiten auf redliche Art und Weise wissenschaftliche Erkenntnisse generiert, beweist neben Ausdauer und Leidenschaft für ein Thema auch ausgeprägte analytische und konzeptionelle Fähigkeiten. Hinzu kommt die Aussenwirkung, die unabhängig vom tatsächlichen wissenschaftlichen Wert der Arbeit betrachtet werden muss. Ein Doktortitel versprüht Seriosität und Ernsthaftigkeit, gerade gegenüber potenziellen Kunden. Daran haben auch die Plagiatsfälle nichts geändert.
Immerhin 20 Prozent der Geschäftsleitungsmitglieder in der Schweiz verfügen über einen Doktortitel, bei den Verwaltungsratsmitgliedern sind es sogar 32Prozent, wie der aktuelle Report des Headhunters Guido Schilling zeigt. Noch stärker nimmt gegenwärtig allerdings der Anteil jener zu, die eine MBA-Weiterbildung (Master of Business Administration) absolviert haben. Es ist deshalb gut möglich, dass in der Privatwirtschaft die Bedeutung von Doktoraten auf Kosten von MBA-Titeln abnehmen wird. Gerade aufgrund der unüberschaubaren Anzahl an Weiterbildungen gilt: Das Renommee der Institution ist massgebend.
Die Notwendigkeit eines Doktortitels für bestimmte Karriereschritte ist nicht überall gleich hoch. Fehlt es an Praxiserfahrung in Bereichen ausserhalb der Hochschule, hilft auch ein Doktortitel nicht weiter. Diese bittere Erfahrung müssen viele Wissenschafter machen, wenn sie erfolglos versuchen, dem universitären Betrieb, der in karrieretechnischer Hinsicht eine Art Flaschenhals darstellt, den Rücken zu kehren.
Sowohl für Doktoranden an Hochschulen wie in der Privatwirtschaft gilt: Wer in erster Linie aus Prestigegründen doktoriert, ist auch eher anfällig für Betrug. «Man müsste nur die Titel von den Visitenkarten und Türschildern verschwinden lassen. Dann würden nur noch diejenigen eine Promotion anstreben, für die sie tatsächlich einen wissenschaftlichen Wert hat», meinte dazu der deutsche Elitenforscher Michael Hartmann in der «Wirtschaftswoche».
Und wie steht es um die finanziellen Anreize? Ein Doktorat bringt in der Regel jahrelange Lohneinbussen mit sich, dafür steigt danach die Einkommenskurve steiler. Laut Angaben des Bundesamtes für Statistik (BFS) verdient ein promovierter Akademiker in einer Führungsfunktion im Schnitt rund 18 100 Franken mehr pro Jahr als ein Hochschulabsolvent ohne Doktorat. Bei den Wirtschaftswissenschaftern zahlt sich die Forschungsarbeit noch stärker aus. Im Schnitt verdienen sie rund 40 000 Franken mehr pro Jahr, wie eine Untersuchung des Institutes für Bankenwesen der Universität Zürich ergab.
Selbstverständlich garantiert eine eigenständig verfasste Dissertation alleine noch keinen beruflichen Erfolg. Dieser ist vielmehr Ausdruck von Neugierde, Hartnäckigkeit und analytischem Geschick – Eigenschaften, die eine mehrjährige Forschungsarbeit mit all ihren Höhen und Tiefen überhaupt erst möglich machen. Man darf also getrost von Wechselwirkungen sprechen. Wenn zudem das Doktorat in erster Linie einem inneren Interesse entspringt, ist auch die Wahrscheinlichkeit gross, langfristig eine hohe Zufriedenheit am Arbeitsplatz zu erreichen.
Das Projekt «Promotion und Karriere» des Instituts für Erziehungswissenschaften der Universität Bern untersuchte Berufs- und Einkommensverläufe von mehr als 1300 promovierten Akademikern in der Schweiz. Dabei zeigte sich: Die Arbeitslosenquote ist verschwindend klein, und die meisten haben eine ihrer Qualifikation adäquate Beschäftigung.