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Bis die Träume platzen

Veröffentlicht am 10.01.2016
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Positives Denken hindert daran, die gesteckten Ziele zu erreichen
Das Mantra des positiven Denkens bröckelt: Wunschträume erweisen sich als Karrierehindernis. Skeptiker und Pessimisten haben bessere Karten. 
 
Von Manuela Specker

Auf den ersten Blick scheint es, dass positives Denken mehr bringt als sich ständig auszumalen, was alles schief laufen könnte. Doch die Methode hat mit der Realität, in der Scheitern und Misserfolge dazu gehören, nicht viel zu tun. Sie führt viel eher dazu, dass man bedeutend schlechter mit Rückschlagen umgehen kann. Die Psychologin Gabriele Oettingen räumt nun mit dem Mythos des positiven Denkens auf – und widerspricht damit all den Glücks-Gurus, die behaupten, alles beginne im Kopf.
 
In ihren Untersuchungen stiess Gabriele Oettingen, die an der New York University und an der Universität Hamburg lehrt, immer wieder auf dasselbe Phänomen: Jene, die sich ihre Zukunft rosarot ausmalen, sind in der Realität weiter entfernt von ihren Träumen als jene, die auch negative Gedanken zulassen.
 
Studenten beispielsweise, die sich das schöne Leben nach dem Studium vorstellten, brauchten länger, bis sie einen Job fanden, und sie waren zwei Jahre nach Abschluss zu einem tieferen Lohn beschäftigt als jene, die auch Zweifel über die Zukunft zuliessen. Wer überzeugt war, eine gute Prüfung abzulegen, schnitt schlechter ab als jene, die sich vor dem Versagen fürchteten. Das gleiche Bild ergab sich in Oettingens Studien bei Frauen, die an einem Programm zur Reduzierung des Gewichts teilnahmen: Die Skeptikerinnen hatten am Ende mehr Kilos verloren als die Leichtgläubigen.
 
Gabriele Oettingen hat dafür eine einfache Erklärung: „Zukunftsträume sind für den Moment sehr angenehm. Auf lange Sicht aber blockieren sie uns.“ Wer den Erfolg im Geist vorweggenommen habe, glaube, sich nicht mehr bemühen zu müssen. So gesehen sind Träume eher Energiefresser, die einen daran hindern, etwas in die Realität umzusetzen. Die Psychologin konnte sogar nachweisen, dass der Blutdruck sinkt und damit die Bereitschaft, tatsächlich aktiv zu werden.
 
Oettingens Rezept ist so simpel wie einleuchtend: Tagträume sind nicht per se schlecht. Eine Veränderung setzt sogar Imagination voraus. Aber wer tatsächlich etwas bewegen anstatt sich nur geistig entspannen möchte, muss sich in einem zweiten Schritt die Hindernisse vorstellen, die einem im Weg stehen könnten. Was genau hat einen bis anhin davon abgehalten, den Wunsch in die Realität umzusetzen? Womit muss man rechnen? Gabriele Oettingen nennt das „mental contrasting“. Durch diese Methode werden unbewusst Zukunft und Realität miteinander verknüpft. So bereitet sie den Boden vor, um aktiv zu handeln anstatt in Träumereien zu schwelgen.
 
Negative Gedanken zuzulassen ist aus einem anderen Grund sinnvoll: Oft sind es Zweifel und Ängste, welche die Menschen antreiben und dazu führen, dass sie sich wirklich anstrengen und somit über sich hinauswachsen. Selbstzweifel sind nicht einfach Ausdruck eines gestörten Selbstbewusstseins. Sie sind eher ein Indiz dafür, dass jemand sehr viele Gedankengänge macht und über eine hohe Fähigkeit zur Selbstreflexion verfügt. „Selbstzweifel können auch neue Impuls geben und dazu führen, dass wir einen anderen Weg einschlagen und ungeahnte Entscheidungen treffen“, meint Bärbel Wardetzki, die ein Buch über den gelassenen Umgang mit Selbstzweifeln verfasst hat. So tauchen Fragen auf wie: Ist meine Arbeit noch die, die mich wirklich fordert und erfüllt? Mache ich wirklich das, was ich kann und was mich zufrieden stellt?
 
Es versteht sich von selbst, dass eine gesunde Balance entscheidend ist. Nehmen Selbstzweifel und negative Gedanken Überhand, blockieren sie vielmehr statt neuen Schub zu verleihen. Genauso töricht ist es aber, dem positiven Denken ausschliesslich Positives abzugewinnen. Gerade bei eher ängstlichen Menschen ist es ein sogenannt defensiver Pessimismus, der sie vorwärts bringt.
 
Eine andere Psychologin, Julie Norem, beobachtet seit langem, dass Personen, die sich mit ihren Ängsten auseinandersetzen und sich mögliche Szenarien vorstellen, die Kontrolle über diese Ängste gewinnen und bessere Leistungen erbringen. „Die Konfrontation mit möglichen Problemen wirkt stärkend und beruhigt sie.“ Mit anderen Worten: Wer sich zum Beispiel vor einer Prüfung oder eine Rede vor vielen Leuten mit allen möglichen Horror-Szenarien auseinandersetzt, strengt sich nicht nur mehr an, sondern ist auch viel besser darauf vorbereitet.

Foto: Thinkstock