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„Versteckspiel kostet Energie“

Veröffentlicht am 14.09.2014
Versteckte Homosexualität von Schwulen - myjob.ch
„Versteckspiel kostet Energie“   Pinkcross-Geschäftsführer Bastian Baumann über Diskriminierung Homosexueller am Arbeitsplatz
„Ich bin schwul, und das ist auch gut so.“ Prominenten wie Klaus Wowereit mochte ein solcher Satz vielleicht mühelos über die Lippen gehen. In vielen Betrieben aber fürchten Homosexuelle Repressalien – und schweigen.
 
Von Vera Sohmer

Werden Homosexuelle am Arbeitsplatz offen diskriminiert?
Bastian Baumann*: Hierzu fehlen in der Schweiz Zahlen. Aber wenn Diskriminierungen stattfinden, sind diese vielfältig und teilweise diffus. Sie zeigen sich zum Beispiel dadurch, dass andere Personen bei Beförderungen bevorzugt werden, obwohl dies nicht durch bessere Leistungen gerechtfertigt wäre. Manchmal werden Informationen vorbehalten oder es wird aus fadenscheinigen Gründen gekündigt. Niemand würde sich öffentlich zu diesem diskriminierenden Verhalten bekennen. Uns aber erreichen immer wieder solche oder ähnlich Fälle, und zwar quer durch alle Branchen. Pink Cross hilft hier seinen Mitgliedern unter anderem mit juristischer Vertretung.
 
Darf im Vorstellungsgespräch die Frage nach der sexuellen Orientierung gestellt werden?
Ich halte diese Frage in einem Vorstellungsgespräch für irrelevant. Ob jemand homo- oder heterosexuell ist, hat keine Auswirkung auf die Arbeitsleistung. Wird die Frage gestellt, darf meines Erachtens auch gelogen werden, wenn sich eine korrekte Antwort nachteilig auf eine Anstellung auswirken könnte. Allerdings würde ich mich fragen, ob ich die nächsten Jahre acht Stunden am Tag in einem Unternehmen verbringen will, dessen Vorgesetzter Probleme mit Homosexuellen hat.
 
Es heisst, je höher die Hierarchiestufe, desto grösser ist das Tabu, über Homosexualität zu sprechen. Stimmt das?
Schwer zu sagen, ob dies der Realität entspricht. Vielleicht wird in den höheren Etagen generell weniger über Privates gesprochen. Sicher aber spielt auch hier die Angst mit, bei einem Outing auf die Homosexualität reduziert und nicht mehr für seine Leistung anerkannt zu werden.
 
Können Outings von Vorgesetzten dazu beitragen, dass Angestellte eher sagen: „Ja, ich bin schwul“?
Ein toleranter Chef und eine offene Unternehmenskultur fördern das Wohlbefinden der Arbeitnehmenden. Dieses gute Klima kann von jedem Vorgesetzten generiert werden, unabhängig von der sexuellen Orientierung. Kommuniziert ein Chef seine Homosexualität offen, kann dies aber sicherlich dazu beitragen, das eigene Outing mit einem gestärkten Gefühl anzugehen. Immer noch schweigen einige, weil sie Repressalien oder Nachteile für ihre Karriere befürchten. So oder so wird es aber immer Angestellte geben, die ihre Homosexualität für sich behalten wollen, was es ebenfalls zu akzeptieren gilt.
 
Angenommen, jemand möchte sich outen: Was sind die Vorteile?
Es kann befreiend sein, denn das Versteckspiel und die Tarnung entfallen. Beides braucht viel Energie und bindet Ressourcen. Schwul sein bedeutet ja nicht nur, mit einem Mann Sex zu haben, es gehört viel mehr dazu. Man möchte vielleicht vom Urlaub mit dem Partner erzählen, Arbeitskollegen zum Apéro nach Hause einladen, sich nicht erklären müssen, warum man keine Frau und keine Kinder hat.
 
Welche Voraussetzungen braucht es in Unternehmen, damit Homosexuelle keine Nachteile Befürchten müssen?
Offenheit gegenüber Diversität allgemein, explizite Äusserungen von Vorgesetzten zum Thema, angepasste Dokumente, die diese Offenheit zeigen. Es werden dann zum Beispiel nicht nur Ehemann und Ehefrau, sondern Partner und Partnerin zum Betriebsfest eingeladen. Oder es gibt offizielle Glückwünsche bei Vaterschaft oder Mutterschaft in Regenbogenfamilien.
 
Firmen legen heute Wert auf Diversity, in Deutschland etwa gibt es LesbianGayBisexualTransgender-Netzwerke. Was halten Sie davon?
Das ist löblich, aber trotzdem mit Vorsicht zu geniessen. Ab und an wird Diversity-Management als Marketinginstrument benutzt, das versagt, wenn es konkrete Situationen oder Fälle gibt. Oder wenn Geld gesprochen werden müsste für Anliegen einer dieser Minderheitsgruppen im Unternehmen. Diversity-Management muss gelebt werden und darf nicht nur auf dem Papier stattfinden.
 
*Bastian Baumann ist Geschäftsführer von Pink Cross, der Dachorganisation der schwulen Männer in der Schweiz. Sie vertritt deren Interessen gegenüber Politik, Behörden und Öffentlichkeit. Ziel für die nächsten Jahre: Ein Diskriminierungsverbot in der Bundesverfassung für Schwule, Lesben und Transgender Personen. Dies nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Bereich. Pink Cross arbeitet dafür unter anderem mit den Organisationen der Lesben (LOS), der Führungskräfte (Wybernet, Network), der Transgender (TGNS) und der Angehörigen von Schwulen und Lesben (Fels) zusammen.
 
www.pinkcross.ch