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Der Chef, mein Freund

Veröffentlicht am 18.01.2019 von Manuela Specker - Bildquelle: Shutterstock
Der Chef, mein Freund

Heikler Balanceakt zwischen Nähe und Distanz: Wenn Mitarbeitende und Vorgesetzte befreundet sind.

Es gibt wenige ungeschriebene Regeln, die ausnahmslos für alle Menschen in Führungspositionen gelten. Dazu gehört, niemanden zu bevorzugen. Es ist aber auch exakt jene ungeschriebene Regel, die am häufigsten gebrochen wird – das liegt in der Natur der Sache. Alle Vorgesetzten haben persönliche Präferenzen in Bezug auf die Menschen, die sie zu führen haben. Aber sie dürfen dich diese nicht anmerken lassen, auch zum Wohle der Angestellten. Steht jemand unter Verdacht, bevorzugt zu werden, wird er entweder zum Aussenseiter oder werden seine Leistungen nicht mehr ernst genommen, sondern immer auf das engere Verhältnis zum Vorgesetzten zurückgeführt. Umgekehrt steht der Angestellte, auch wenn er sich besonders gut mit dem Vorgesetzten versteht, immer in einem Machtverhältnis, da der Hierarchiehöhere jederzeit Projekte entreissen, Lohnerhöhungen nicht gewähren oder die Stelle gar aufheben kann – nicht nur aus sachlichen Gründen, sondern auch, wenn es plötzlich zwischenmenschlich nicht mehr geigt.

Diese Vorgänge stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Tatsache, dass die Hierarchien vielerorts flacher geworden sind, dass die Duz-Kultur Einzug gehalten hat und der sich freundschaftlich gebende Vorgesetzte dem Zeitgeist entspricht, während autoritär auftretende Vorgesetzte zu Recht als verstaubt gelten. Nur verschleiert die neue Hierarchielosigkeit, dass Machtstrukturen nach wie vor wirken. So stellt sich umso mehr die Frage, wie Freundschaften zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten zu handhaben sind, da sich diese Konstellation schnell einmal als Minenfeld erweisen kann. Manchmal ist gar der Übereifer von Führungskräften ein Problem; Übereifer, weil sie nicht in den Verdacht der Vetternwirtschaft geraten wollen und somit befreundeten Mitarbeitenden unter Umständen das Leben besonders schwermachen. Oder sie haben Mühe, kritische Worte anzubringen, weil dies die Freundschaft gefährden könnte – auch Chefs sind nur Menschen, die auf zwischenmenschliche Beziehungen angewiesen sind.

Entscheidend sind die Umstände. "Es ist einfacher, wenn Ihr Chef Ihr Freund wird, als wenn ein Freund zu Ihrem Chef avanciert", meint beispielsweise der Organisationspsychologe Ben Dattner. Letzteres Szenario belastet insbesondere die Freundschaft stärker, da sich beide Seiten erst einmal in ihrer neuen Rolle zurechtfinden müssen. Auch das Arbeitsklima hat einen grossen Einfluss darauf, ob Freundschaften förderlich oder hindernd sind. Werden Mitarbeitende grundsätzlich als eigenständige Persönlichkeiten behandelt und haben sie viele Freiheiten in der Erledigung ihrer Aufgaben, sind auch freundschaftliche Verhältnisse ein einfacher zu bewältigender Balanceakt.

Am einfachsten gestalten sie sich noch immer in einem Umfeld, das auch im Sinne des Unternehmens am vorteilhaftesten wäre, unabhängig von der Frage, ob und wie Freundschaften über Hierarchien hinweg funktionieren: Allen Beteiligten geht es um die Sache und nicht darum, sich zu profilieren. Probleme werden offen angesprochen, Kritik wird wohlwollend anstatt vernichtend angebracht. In einer solchen Arbeitsatmosphäre ist auch klar, dass kritische Worte keine Freundschaften gefährden, und dass es die normalste Sache der Welt ist, dass Hierarchiestufen nicht die natürliche Grenze für Freundschaften bilden können, sondern dass es über diese Stufen hinweg menschelt.

Freundschaftliche Banden zu verbieten wäre sowohl unrealistisch als auch unmenschlich. "Unnahbare, coole, beherrschte und neutrale Vorgesetzte, die sich selbst und ihre gesamte Umwelt rein rational und sachlich betrachten, sind nicht dazu geeignet, Menschen zu führen“,  schreibt Daniel F. Pinnow in seinem Buch „Führen. Worauf es wirklich ankommt.“  Wichtig ist, dass sich alle der potenziellen Abhängigkeiten jederzeit bewusst sind, um bei Bedarf rechtzeitig an der Situation etwas zu verändern und somit weder den eigenen Job noch die Freundschaft zu gefährden.