Ungleichbehandlungen im Job aufgrund des Geschlechts laufen oft subtil ab - und sind nach wie vor keine Seltenheit.
Solange es nur um Small-Talk geht, wird die Bauleiterin galant behandelt. Aber wehe, die Gespräche drehen sich plötzlich um technische Ausführungen. Dann ist plötzlich der Kollege gefragt, obwohl er in der Hierarchie tiefer angesiedelt ist. Kündigt sie Deadlines an, erlebt sie immer wieder, dass diese weder ernst genommen noch eingehalten werden, was die ganze vorangehende Projektplanung zunichtemachen kann. „Mit der Zeit habe ich gelernt, mit der Faust auf den Tisch zu hauen und notfalls auch lauter werden zu müssen, um von denjenigen, die mich nicht ernst nehmen, gehört zu werden“, berichtet die Bauleiterin.
Vor solchen Ungleichbehandlungen sind natürlich auch Männer in Frauendomänen nicht gefeit. Die volle Wucht der Vorurteile und stereotypen Vorstellungen kriegen sie genauso zu spüren. Der Kindergärtner kann ein Lied davon singen. Bereits der Begriff „Kindergärtner“ löst bei vielen die Assoziation aus, die Rede sei nun von einem Buben, der in den Kindergarten geht - obwohl damit die männliche Unterrichtsperson gemeint ist.
Strukturelle Ursachen
Der grosse Unterschied besteht allerdings darin, dass bei Frauen die Ungleichbehandlungen strukturelle Ursachen haben, dass sie diesen unabhängig vom Aspekt der Männer- und Frauendomänen ausgesetzt sind und dass Ungleichbehandlungen oft so subtil ablaufen, dass sie davon nicht direkt etwas mitbekommen. Aber in der Summe haben diese Erfahrungen ganz reale Auswirkungen auf die Karrierechancen. Lohnunterschiede trotz gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Kinder oder die Möglichkeit, Kinder zu kriegen, sind für Frauen nach wie vor der Karrierekiller Nummer eins.
In den Erzählungen berufstätiger Mütter tauchen die immer gleichen Muster auf: Sobald sie Nachwuchs bekommen haben, wird ihnen im Job weniger zugetraut, weil sie doch nun andere Prioritäten haben sollen. Nach dem Mutterschaftsurlaub geht es oft direkt aufs Abstellgleis. Die Schweiz entpuppt sich als regelrechte Gleichstellungswüste, was vor allem jenen auffällt, die nicht hier gross geworden sind und sich andere, weniger diskriminierende institutionelle Mechanismen gewohnt sind.
Charlotte Theile beispielsweise, die vier Jahre lang als Schweiz-Korrespondentin für die Süddeutsche Zeitung tätig war und in den Anfängen etwa dreimal pro Woche die Frage beantworten musste, wie sie als junge Frau (sie war damals 27) eine so verantwortungsvolle Position übernehmen konnte. Ihre männlichen Kollegen in ähnlichen Korrespondentenjobs waren nicht derselben Skepsis ausgesetzt. Sie wurden auch nicht ständig gefragt, ob sie 100 Prozent arbeiten würden. Dass die Schweiz bis heute per Gesetz den Vätern nach der Geburt nur einen einzigen freien Tag zugesteht, wurde auf der Hauptredaktion in München ungläubig zur Kenntnis genommen, wie Theile in einem Artikel im „Tagesanzeiger“ berichtet. Ob die Korrespondentin da nicht Tage und Monate durcheinandergebracht habe?
Nicht umsonst wundert sich Charlotte Theile, die mittlerweile für die „Zeit“ in Leipzig arbeitet, wie eines der am weitesten entwickelten Länder in Sachen Gleichberechtigung immer noch auf Schwellenland-Niveau verharren könne. Das ist weder polemisch noch subjektiv, sondern offiziell bestätigt: Gemäss dem aktuellen Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums beispielsweise befindet sich die Schweiz auf dem Gleichstellungslevel von Barbados und Südafrika.
Keine Frage des Willens
Der Weltfrauentag vom 8.März vermochte immerhin für dieses Thema zu sensibilisieren. Er machte aber auch deutlich, dass noch immer die Ansicht vorherrscht, Frauen müssten nur wollen. Wenn sie sich anstrengen, würden ihnen alle Türen offenstehen. Doch natürlich ist der berufliche Aufstieg nicht einfach eine Frage des Willens. Und schon gar nicht ist das Geschlecht ohne Einfluss, was ja auch berufstätige Männer in Frauendomänen zu spüren bekommen. Man kann es einmal anders herum betrachten: Weil Frauen, erst recht mit Kind, im Job immer wieder diskriminierende Erfahrungen machen, wollen sie in diesem Karriere-Game nicht mehr dabei sein.
So hängt der Wunsch nach Karriere immer auch davon ab, für wie realistisch man den Aufstieg im Job überhaupt hält. Gemäss einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Civey glaubt nur jede dritte Frau, im Laufe ihrer Karriere in eine Führungsposition aufzusteigen. Bei den Männern sind es knapp 45 Prozent. "Wer sich nicht vorstellen kann, Karriere und Familie unter einen Hut zu bekommen, verfolgt eigene Karrierepläne nicht so konsequent oder zögert“, so Julia Sperling von der Unternehmensberatung McKinsey. Es sei schon länger klar, dass Frauen auch Karriere machen wollten. Nur habe sich an der Kultur in den Unternehmen wenig geändert.