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Gleicht die Arbeitswelt einer „Diktatur“?

Veröffentlicht am 25.04.2019 von myjob.ch - Bildquelle: iStock
Gleicht die Arbeitswelt einer „Diktatur“?

Diktatur und Tyrannei: Das erwarte den durchschnittlichen Arbeitnehmer beim Betreten des Arbeitsplatzes. Zumindest, wenn es nach der Philosophin Elizabeth Anderson geht. Eine Entgegnung.

„Die meisten Amerikaner leben unter der Diktatur ihrer Arbeitgeber“, sagte die Philosophin Elizabeth Anderson im Interview mit der „Zeit“. Sie seien „allen möglichen Arten der Willkür“ ausgesetzt und würden ständig in ihrer Würde verletzt. Zwar mögen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa besser geschützt sein, so Anderson, jedoch gebe es auch hier „sehr verletzbare Gruppen, die leicht zum Opfer werden können, etwa Zeitarbeiter“. Das moderne Unternehmen sei demnach „eine Diktatur, eine private Regierung einiger weniger, die nicht gewählt sind, über viele, die keine Mitsprache haben“, meint die Philosophin.

Das ist starker Tobak, wenn man sich anschaut, was Diktatur und Tyrannei aktuell in vielen Ländern der Welt anrichten. Und was sie noch vor wenigen Jahren und Jahrzehnten vor allem im südlichen und östlichen Europa angerichtet haben.

Bedingte Unfreiheit, notwendiger Rahmen
Zwar gebe es im Unterschied zu staatlichen Diktaturen nicht die Möglichkeit, dass Unternehmer ihre Angestellten ins Gefängnis werfen. Und auch sei es „definitiv einfacher, ein Unternehmen zu verlassen als ein Land“, relativiert Anderson im Interview. Um jedoch gleich einen historischen Bogen zum kommunistischen Ostblock-Europa zu drehen: Dort habe es Reisefreiheit gegeben – allerdings nur in andere Ostblock-Staaten. Ähnlich sei es heute für Arbeitnehmer: Wer ein Unternehmen verlässt, müsse zwangsläufig in einem anderen anheuern, um zu überleben.

Nun hat Anderson recht wenn sie sagt, dass Mitarbeitende sich bestimmten Regeln am Arbeitsplatz unterordnen müssen. Regeln, die die Zusammenarbeit definieren und dafür einen gewissen Handlungsrahmen vorgeben: Etwa, wann und wo die Arbeit erledigt werden soll. Und natürlich besteht in vielen Nationen ein wachsender Druck auf das Individuum, wenn Arbeitslosigkeit populistisch mit Faulheit gleichgesetzt und Arbeitslosengelder nach und nach gekürzt werden.

Dennoch bleibt es den Bürgerinnen und Bürgern der demokratischen Gesellschaftsordnung weitgehend selbst überlassen, welche Ausbildung sie wählen. Für welchen Dienstgeber sie tätig werden – und für wie lange. Ebenso besteht für viele die Möglichkeit, sich in die wirtschaftliche Selbständigkeit zu begeben. Und in der Folge sogar selbst Dienstgeber zu werden – der beste und arbeitnehmerfreundlichste der Welt, wenn man das möchte.

Überzogener Vergleich
Liegt die amerikanische Philosophin nun vollkommen falsch mit ihrem Rundumschlag gegen das moderne Arbeitsleben? Nein. Es gibt Probleme und Negativbeispiele – es gibt Verbesserungspotenzial für die Situation von Arbeitnehmern. Es gibt aber auch Möglichkeiten, sich gegen unfaire Behandlungen am Arbeitsplatz zu wehren: Sei es durch die zielgerichtete Organisation von Arbeiterinnen und Angestellten, sei es auf dem bestehenden Rechtsweg.

Und gerade im Hinblick auf die Schicksale vieler Millionen von Menschen, die weltweit unter tatsächlicher Diktatur leiden und davor flüchten, taugt das Sinnbild nicht für eine ernsthafte Debatte über Wirtschaft und Arbeit. Die angeführten Parallelen sind nur bedingt gültig, der Vergleich ist peinlich überzogen.