Wenn Führungskräfte die Bodenhaftung verlieren, leiden nicht nur die Mitarbeitenden
Abgehoben, weltfremd, gierig, viel zu hohe Boni: Das Schimpfen über „die da oben“ ist eine zwiespältige Sache, da dies immer auch ein Kernelement des populistischen Diskurses ist. Anders schaut es aus, wenn ein renommierter Wissenschaftler Elitekritik betreibt und dabei nicht von Wut getrieben ist, sondern seine Befunde mittels empirischer Untersuchungen untermauert. Dazu gehört der Soziologe Michael Hartmann. In seinem Buch „Die Abgehobenen“ weist er nach, dass sich die Eliten immer mehr von der Bevölkerung entfernen.
Gerade in der Wirtschaft bildet die oberste Führungsriege oft eine Art geschlossene Gesellschaft, da in hohen Positionen die Personalentscheide nach dem Prinzip der Ähnlichkeit gefällt werden und sich die Auserwählte auch in ihrer Herkunft und ihrem Bildungshintergrund ähneln. So erstaunt es nicht, was jüngst eine Untersuchung der Finanzplattform IG über die Gemeinsamkeiten der 50 bestverdienenden Topmanager in der Schweiz, in Frankreich und Deutschland zu Tage förderte: Die meisten sind zwischen 50 und 60 Jahre alt, und sie haben in der Regel Betriebs- oder Volkswirtschaft studiert.
Halten sich Entscheidungsträger nur noch unter ihresgleichen auf, können sie leicht den Bezug zur Realität verlieren, was sich ja nicht zuletzt an horrenden Lohnbezügen zeigt. Oder es besteht die Gefahr, dass sie Probleme nicht oder zu spät erkennen, und sie sind in ihrer abgeschotteten Welt unter Umständen nicht mehr in der Lage abzuschätzen, welche potenziellen Folgen gewisse Entscheidungen haben.
Auch Teamleiter heben ab
Diese Mechanismen spielen nicht nur in den allerhöchsten Führungspositionen. Schon auf der Stufe Teamleiter kann es zu dieser Entfremdung kommen, was dann nicht zwingend mit der sozialen Herkunft zu tun hat, sondern mit den Arbeitsbedingungen: Gerade im unteren und mittleren Management sind Chefinnen und Chefs oft mehr damit beschäftigt, sich nach oben rechtfertigen zu müssen, an unzähligen Sitzungen teilzunehmen oder an irgendwelche Restrukturierungsmassnahmen zu arbeiten. In der Konsequenz haben sie - zugespitzt ausgedrückt - entweder noch mehr Leute zu führen oder verlieren den Job. Und so verwundert es nicht, wenn sie tatsächlich den Bezug zu ihren Mitarbeitenden verlieren und ein vertiefter Austausch allenfalls noch im Rahmen des Jahresgesprächs stattfindet. Wenn überhaupt.
Ein anderer Auslöser, die Bodenhaftung zu verlieren, ist das eigene Rollenverständnis. Wer Führen in erster Linie mit Befehlen gleichsetzt und alleine kraft der Hierarchie respektiert (oder vielleicht passender: gefürchtet) werden will, hält es nicht für notwendig, ab und an den Puls der Mitarbeitenden zu fühlen. Auch auf dieser Führungsstufe tendieren manche Verantwortlichen zum Chamäleon-Effekt: Den Austausch pflegen sie vor allem mit jenen, die ähnlich ticken.
Und so kommt es, dass diese Chefinnen und Chefs nicht nur den Kontakt zu ihren Teammitgliedern vernachlässigen, sie neigen auch dazu, sich mit Scheuklappen durch das Arbeitsleben zu bewegen. Nicht wenige von ihnen hoffen, irgendwann zur obersten Elite anzugehören und entsprechende Privilegien zu geniessen. Aber wie bereits angedeutet gilt: Bei unpassender sozialer Herkunft oder fehlenden Schlüsselkontakten bleibt das meist ein frommer Karrierewunsch.
In der eigenen Welt
Das Problem: Die soziale Exklusivität der Mächtigen wirkt sich nie nur im Mikrokosmos einer Firma aus, sondern beeinflusst eine Gesellschaft als Ganzes – und das nicht unbedingt zum Guten. „Die Eliten haben sich in den vergangenen Jahren daran gewöhnt, eigene Interessen in den Vordergrund zu stellen. Sie haben sich vom Rest der Bevölkerung entfernt und leben zunehmend in ihrer eigenen Welt, in der sie das nicht mehr wahrnehmen“, kritisiert Michael Hartmann.