Wer Karriereentscheide nur rational abwägt, macht auch eher Fehler.
Das Angebot schien perfekt: 6 Wochen Ferien, 450 Franken mehr Lohn pro Monat als im früheren Job, schöne Büros mit richtigem Parkettboden – und doch hatte der Bewerber ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Er wusste nicht genau, was es war. Der unfreundliche Blick der Chefin gegenüber dem Praktikanten? Die eigenartige Stille, die im Grossraumbüro herrschte? Die gestresst wirkenden Gesichter? Dieses Beispiel steht stellvertretend dafür, wie stark sich das Bauchgefühl auch im Arbeitskontext bemerkbar macht. Gerne wird es ignoriert, weil es doch in einem professionellen Umfeld scheinbar nichts verloren hat. Ein Irrtum.
Ein Fehlentscheid mit Folgen
Gemäss einer Studie des Personaldienstleisters Robert Half hat beinahe die Hälfte aller Befragten bereits einmal ein Jobangebot angenommen, obwohl sie von der Stelle nicht wirklich überzeugt waren. Bei nahezu 75 Prozent entpuppte sich das schlechte Gefühl im Nachhinein als korrekt. Dann kommt ein Teufelskreis in Gang: Denn selbst wenn Arbeitnehmende merken, dass sie im neuen Job unglücklich sind, hält jeder vierte trotzdem daran fest. „Sie schrecken vor dem Ruf als Vielwechsler zurück und scheuen das Risiko einer erneuten Jobsuche“, so Zerrin Azeri, Associate Director bei Robert Half in Zürich. Es gelte, Jobentscheidungen nicht alleine aus Vernunftgründen zu treffen, sondern auch auf den Instinkt zu vertrauen.
Das ist natürlich nicht nur bei potenziellen Jobwechseln relevant. Gerade bei komplexen Entscheidungen, wenn also viele Faktoren berücksichtigt werden müssen, oder unter Zeitdruck stösst die reine Vernunft an Grenzen. In diesen Fällen ist es elementar, auf intuitives Erfahrungswissen zu vertrauen, das sich auch aus Sinneswahrnehmungen speist. In der Hirnforschung herrscht sogar die Überzeugung vor, wonach Entscheide nie rein rational getroffen werden, sondern dass immer auch Emotionen oder emotionales Erfahrungswissen, sprich Intuition, reinspielen. Auch Bauchentscheide erfolgen tatsächlich selten direkt aus dem Bauch heraus, sondern beruhen auf Erfahrungswissen. Es handelt sich hier also nicht um irgendwelche geheimnisvollen Kräfte oder esoterischen Anwandlungen. Das Bauchgefühl ist nicht einfach da, sondern hat mit gesammelten Erfahrungen zu tun.
Um beim Eingangsbeispiel zu bleiben: All die beschriebenen Beobachtungen können ein Hinweis darauf sein, dass es in diesem Betrieb an Wertschätzung mangelt, oder dass er streng hierarchisch geführt wird. Wenn einem dies nicht behagt, werden die Signale entsprechend gedeutet, oft auch unbewusst im Vergleich mit früheren Erfahrungen. Diese vermeintlich diffusen Gefühle zu ignorieren, kann sich im Nachhinein als fataler Fehler herausstellen. Oft bestätigen sich die negativen ersten Eindrücke schon in der Probezeit – aber nur wenige haben dann den Mut, bereits in dieser Phase die Konsequenzen zu ziehen. Zu gross die Angst, als Jobhopper zu gelten, zu gross die Hoffnung, dass am Ende doch noch alles gut wird.
Bauchgefühl nicht mit Projektion verwechseln
Das Bauchgefühl kann aber auch täuschen. Zum Beispiel, wenn einen der neue Arbeitskollege an eine frühere, unerfreuliche Begegnung erinnert und man als Folge davon diesem Menschen von Beginn weg ablehnend gegenübersteht. Das Umgekehrte kann natürlich auch passieren: Dass man jemandem vorschnell vertraut, nur weil er an eine bekannte Vertrauensperson erinnert. Solche Vorgänge haben dann weniger mit Bauchgefühl, sondern mehr mit Projektion zu tun.
Die Moral von der Geschichte: Die besten Entscheide sind keine Frage des „Entweder-oder“, sondern des „Sowohl-als auch“. Reine Vernunftentscheide sind sowieso eine Illusion. Voraussetzung für ausgewogene Entscheide ist und bleibt aber, einen Zugang zu seinen eigenen Gefühlen zu haben und diesen auch entsprechend Raum zu geben.