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Rein in die Routine

Veröffentlicht am 24.01.2020 von Manuela Specker - Bildquelle: GettyImages
Rein in die Routine
Entgegen aller Ratschläge kann es befreiend sein, sich im Job mit Routinearbeiten zu begnügen.
Was sind die erfolgsversprechenden Karrierepfade? Wie lässt sich die Produktivität erhöhen? Wie kann man sich am besten vermarkten?  Berufliche Ratschläge enthalten im Kern oft die fixe Idee, sich fortlaufend optimieren zu müssen, um Sprosse um Sprosse auf der Karriereleiter zu erklimmen. Eine ganze Industrie hat sich das Mantra von „Weiterentwicklung“ zunutze gemacht und verdient damit gutes Geld. Wie stark sich dieses Mantra im Leben eines jeden Einzelnen eingenistet hat, zeigt sich auch daran, wie das Umfeld reagiert, wenn beispielsweise jemand mit einem Hochschulabschluss sich mit einem Job genügt, der aus Routinearbeiten besteht und ihm einigermassen ein Einkommen sichert. Gesellschaftlich kompatibler ist es, hart für seinen Traumjob zu arbeiten oder nach immer noch Höherem zu streben. Sein Potenzial auszuschöpfen. Von Zeit zu Zeit eine Weiterbildung zu absolvieren. Aber auch hier geht gerne vergessen, dass die ganzen Weiterbildungsangebote eine eigene Industrie darstellen, in der es um viel Geld geht. Kein Wunder, wird den Menschen eingeredet, sie müssten immer am Ball bleiben – das lässt die Kassen klingeln und macht ihnen ein schlechtes Gewissen, wenn im Lebenslauf eine „Weiterbildungs-Lücke“ besteht.

Der Preis kann hoch sein
Viel zu wenig wird die Frage gestellt, welche Art von Arbeit, von Arbeitsweise den eigenen Bedürfnissen entspricht – und wie hoch der Preis ist, den jemand für Erfolg im Beruf zahlen muss. Einer, der davon buchstäblich ein Lied singen kann, ist der 26-jährige Musiker Faber, der letzthin in einem Interview mit der „NZZ am Sonntag“ darüber sinnierte, wie lange er sein Leben noch dem Rhythmus der Tourneen unterordnen möchte. Er wolle jedenfalls nicht ewig so weitermachen. „Es wäre schon easy, mal was anderes zu machen. Ich habe eine Freundin, die nimmt bei einer Versicherung das Telefon ab. Sie sagt, es sei anstrengend – und gleichzeitig total lahm und leer. Die hat aber ab 17 Uhr frei und sehr innige Bindungen zu anderen Menschen, ein erfülltes Leben – weil sie die Zeit hat. Der Beruf ist doch nicht alles im Leben.»

Wie wahr. Doch so sehr viele Menschen diese Erkenntnis im Grunde genommen teilen, sind sie doch in einer Art Hamsterrad gefangen. Wer sich hochgearbeitet hat und entsprechend verdient, müsste auf so manche Privilegien verzichten – das ist oft nicht eine Frage des Willens, sondern der Lebensumstände. Wer beispielsweise eine Hypothek abzubezahlen oder anderweitige finanzielle Verpflichtungen hat, kann seinen Job nicht einfach gegen eine Routinearbeit tauschen, die bedeutend schlechter bezahlt ist. Dieses Szenario ist abgesehen davon so selten, dass es automatisch Misstrauen erweckt und man für den betreffenden Job aufgrund der Überqualifikation oft gar nicht in Frage kommt. Also besser gleich von Anfang an die beruflichen Ambitionen im Zaun halten? Auch das ist einfacher gesagt als getan, weil der Erfolg im Beruf für viele ein Antrieb ist und weil längst nicht alle damit umgehen könnten, im Job nicht gefordert zu sein – gerade wenn ein Grossteil der eigenen Identität sich aus der beruflichen Tätigkeit speist.

Mehr Wertschätzung für „einfache Jobs“
Wichtig ist, zu erkennen, wann die hohe Identifikation mit dem Job nicht mehr den eigenen Bedürfnissen entspricht – und dann den Mut zu haben, einen Schritt kürzer zu treten statt nach dem Prinzip „höher, schneller, weiter“ zu funktionieren. Routinearbeiten sind längst nicht jedermanns Sache. Aber unter all den Karriereratschlägen und Optimierungsmassnahmen sollte nicht vergessen gehen, dass Jobs, die einen nicht im Übermass fordern, auch einen unschätzbaren Vorteil haben: Es bleibt mehr Zeit für Freizeit und Freunde, und in der Regel lässt sich klarer zwischen Job und Privatleben trennen. Nicht zuletzt verändert diese Sichtweise auch die Wahrnehmung von vermeintlich „einfachen Arbeiten“. Die Arbeit in einem Call-Center beispielsweise geniesst wenig Wertschätzung, dabei müssen die Mitarbeitenden sich nicht nur gut in der entsprechenden Materie auskennen, sie müssen auch in der Lage sein, mit den unterschiedlichsten Charakteren umzugehen. Statt also einfach die in der Gesellschaft vorherrschende Wertehierarchie zu übernehmen, kann es der eigenen Zufriedenheit dienlich sein, für einmal das hochangesehene Streben nach Karriere und einer vollen Lohntüte zu hinterfragen.