Personalexperte René Grüter sagt, weshalb weiche Faktoren im Bewerbungsprozess entscheiden - von Manuela Specker -
Herr Grüter*, aufgrund der dominierenden Debatte über Fachkräfte-Mangel und demografische Entwicklung geht es oft um die Frage, ob genügend Mitarbeitende gefunden werden. Ist es nicht genauso wichtig, ob Firma und Mitarbeiter zusammenpassen?
René Grüter: Das ist so. Eine Firma muss ihre eigene Kultur verstehen und Klarheit haben, aus welchem Holz der Mitarbeitende geschnitzt sein soll, damit es zu einer nachhaltigen Lösung kommt. Oft sind die fachlichen Qualifikationen das entscheidende Kriterium bei der Anstellung, obwohl erfolgreiche Zusammenarbeit sehr stark durch die weichen Faktoren bestimmt wird. Ich beobachte zum Beispiel immer wieder, dass in Bereichen, wo Risikobereitschaft vorausgesetzt wird, Leute arbeiten, welche diese Eigenschaft nicht mitbringen, sondern Veränderungen nur sehr zurückhaltend mittragen. Auf Dauer kommt das nicht gut.
Lassen sich weiche Faktoren im Vorfeld überhaupt überprüfen? Schliesslich kann jeder von sich behaupten, er sei ein Teamplayer oder verfüge über viel Empathie.
Wir setzen das Assessment «CTS Proselect» ein, das Aufschluss gibt über Bereiche der Persönlichkeit, die für das Gelingen oder Scheitern eines Arbeitsverhältnisses von Bedeutung sind. Analysiert werden Denkstrukturen, Haltung, Einstellung, Sozial- und Alltagsverhalten – zum Beispiel, ob jemand eine mehr detailorientierte oder eine eher visionär-konzeptionelle Arbeitshaltung mitbringt.
Assessments sind doch eine zweischneidige Sache: Kandidaten, die wissen, worauf es ankommt, versuchen, diese zu ihren Gunsten zu steuern.
Natürlich weiss, wer zum Beispiel eine Sales-Position anstrebt, dass eher Extrovertiertheit gefragt ist und einem das Knüpfen von Kontakten leichtfallen sollte. Doch die situativen Fragen sind so unterschiedlich ausgestaltet und bewusst Optionen offenlassend, dass es Kandidaten nicht einfach gemacht wird, das Resultat der Auswertung bewusst zu beeinflussen. Zudem soll ein Assessment strikt komplementär zum Eindruck, den die Person während des ganzen Bewerbungsprozesses hinterlässt, eingesetzt werden.
Getäuscht wird aber sicher auch in Vorstellungsgesprächen?
Es kommt vor, dass in einem Vorstellungsgespräch Kandidaten das sagen, was Interviewer hören wollen. Auf Dauer kann sich aber niemand verstellen. Gerade kürzlich hatte ich einen Kandidaten, der am Telefon einen überzeugenden Eindruck hinterliess. Im persönlichen Gespräch musste ich jedoch feststellen, wie sehr er an der Oberfläche blieb. Auf konkrete Fragen gab er keine konkreten Antworten. Wir empfehlen Kandidaten, sich so zu geben, wie sie sind. Der Schlüssel zum Erfolg führt über die Authentizität. Das ist in beidseitigem Interesse.
Sind die Mitarbeitenden anspruchsvoller geworden, was die Erwartungen an den Arbeitgeber betrifft, und damit auch wählerischer?
Das Gegenteil ist der Fall. Viele harren zu lange in einem Umfeld aus, das ihnen eigentlich nicht mehr zusagt; bis ihnen dann eine Neuorientierung firmenseitig aufgezwungen wird. Mitarbeitende sollten sich nicht nur rechtzeitig mit ihrer beruflichen Weiterentwicklung auseinandersetzen, sondern sich auch die Frage stellen, wie der Arbeitgeber, für den sie arbeiten möchten, beschaffen sein sollte. Es ist doch schon eigenartig: Bei der Kaufentscheidung für technische Dinge wie zum Beispiel ein Auto wird im Vorfeld die Passgenauigkeit sehr genau sondiert. Wenn es um einen selbst geht, fehlt diese Eigeninitiative leider oft.
Was raten Sie konkret?
Als Bewerber muss ich frühzeitig herausfinden, wie die Zielfirma funktioniert. Das eigene Netzwerk birgt hierfür ein grosses Potenzial. Irgendwo kennt immer jemand Personen, die dort arbeiten, oder es bestehen Verbindungen zur Firma als Kunden oder Lieferanten. Mit Fragen im Vorstellungsgespräch allein ist es schwierig, einen allumfassenden Einblick zu erhalten. Darum ist es wichtig, mit mehreren Personen im Unternehmen zu reden, um zum Beispiel eine Ahnung davon zu kriegen, wie sich die Arbeit im Team gestaltet, wie kommuniziert wird, ob einem der Führungsstil entspricht und wie mit Konflikten umgegangen wird. Warum eigentlich nicht einen Schnuppertag vereinbaren und das Ganze auf sich wirken lassen? Mit den weichen Faktoren befassen sich die wenigsten Leute während eines Bewerbungsprozesses, dabei entscheiden häufig diese Aspekte darüber, ob die Zusammenarbeit nachhaltig und erfolgreich sein wird. Es lohnt sich auf jeden Fall, in das Thema zu investieren.
Aber man sollte den Arbeitsplatz ja schon nicht mit einer Wohlfühloase verwechseln?
Es geht letztlich darum, ob jemand in eine Firma und in die Teamstrukturen passt. Es macht beispielsweise keinen Sinn, in einem Team nur Personen mit hohem Führungsanspruch zu haben, es braucht auch zurückhaltende Leute, die kompromissfähig sind. Mit einer Wohlfühloase hat das nichts zu tun.
* René Grüter ist Senior-Berater und Coach bei der auf HR-Gewinnung, -Entwicklung und Veränderung spezialisierten CTS Group.
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