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Mit Fantasie und Weitsicht zum Traumjob

Veröffentlicht am 05.04.2015
Stellen-Bewerbungen und Neuorientierungen - myjob.ch
Viele Job-Bewerber scheitern trotz aussichtsreicher Ausgangslage. Was machen sie falsch?
Wer als Geisteswissenschaftler die typischen Stellen anvisiert, muss mit typischen Absagen rechnen. Klüger ist es, beim Bewerben abseits der Trampelpfade zu suchen.
 
Von Martin Wehrle

Wo die junge Germanistin auch anklopfte, bei Verlagen und Sendern, bei Agenturen und  Bildungsinstituten, überall lief sie gegen Mauern: Die Unternehmen schickten ihr Absagen.  Dabei hatte sie ihr Studium rasch und erstklassig abgeschlossen. Dabei trat sie gewinnend auf, sprach druckreife Sätze und schrieb mit flotter Feder. Und auch die Liste ihrer Praktika las sich wie ein Who-is-Who der Zeitungs- und Werbebranche, gute Zeugnisse inklusive. 
 
Woran scheiterte sie? Nicht an ihrer Qualifikation – sondern daran, dass sie nur die naheliegenden Germanisten-Berufe ansteuerte. Alexander Graham Bell, der Erfinder des Telefons, sagte einmal: „Geh nicht immer auf dem vorgezeichneten Weg, der nur dahin führt, wo andere bereits gegangen sind.“ Die meisten Absolventen aber steuern genau diesen „vorgezeichneten Weg“ an. Zur selben Zeit rennen sie alle auf dieselben, weil naheliegenden Stellen zu. Bald sind die Türen verstopft, der Rückstau ist lang – und die Zahl der Bewerber, die durch eine Absage enttäuscht werden, ist zwangsläufig hoch. 
 
Von diesem Überangebot an Geisteswissenschaftlern profitieren die Arbeitgeber: Feste Arbeitsplätze sind nicht mehr selbstverständlich. Immer mehr Geisteswissenschaftler werden geheuert als Praktikanten, als freie Mitarbeiter, als Tagelöhner – oft zu Gehältern und Honoraren, die diesen Namen nicht verdienen.  Ein solcher Start ins Arbeitsleben kann ein Start in den Frust sein.
 
Die Germanistin war offen für Alternativen, nur sagte sie: „Ich sehe leider keine!“ Lag das am Arbeitsmarkt? Nein, sie war fixiert auf die verstopften Türen. Die freien Wege daneben nahm sie erst auf den zweiten Blick wahr: Warum keine Bewerbung an einen Maschinenbauer, einen Chemiekonzern oder einen Stromriesen schicken? Nicht als Pressesprecherin (wieder eine überrannte Tür!), sondern als Trainee oder Projektmitarbeiterin. Aus Studien geht hervor: Immer mehr Unternehmen stellen Geisteswissenschaftler ein, oft als Quereinsteiger.
 
Wer kann aus langen Schriftsätzen schnell das Konzentrat ziehen? Wer recherchiert gekonnt, drückt sich treffend aus, denkt dialektisch, erschliesst Zusammenhänge und liest zwischen den Zeilen? Wer bringt fürs internationale Geschäft die Empathie und das Sprachvermögen mit, sich in fremde Kulturen einzufühlen? Wer ist prädestiniert für den Dialog mit Kunden und Kollegen, ob mündlich oder schriftlich? Geisteswissenschaftler! Ihre Stärken liegen dort, wo die Unternehmen  ihre grössten Schwächen haben: in der Kommunikation.
 
Allerdings darf ein Geisteswissenschaftler nicht darauf hoffen, dass die Arbeitgeber sich auf Schatzsuche begeben, um seine Qualitäten ans Tageslicht zu fördern. Vielmehr handelt es sich um eine Bringschuld, denn die Kernfrage aus Sicht der Firma lautet: Welchen konkreten Nutzen bietet die Qualifikation des Bewerbers unserem Unternehmen? Welche seiner Kernkompetenzen werden im Arbeitsalltag bei uns von Nutzen sein? Und inwieweit bringt er schon Vorwissen mit, das die Einarbeitung vereinfacht?
 
Wenn die junge Germanistin es schafft, einem Unternehmen ihre enormen Vorzüge in ihrer Bewerbung zu verdeutlich, muss sie nicht mehr lange im Stau stehen – zumal die Konkurrenz auf diesem Bewerbungsweg gering ist; die meisten Geisteswissenschaftler gehen noch immer den „vorgezeichneten Weg“.  
 
Ganz egal, welchen Beruf Sie ausüben: Überlegen Sie einmal, welcher Winkel des Arbeitsmarktes von Ihren Berufskollegen sträflich vernachlässigt wird. Warum sollte ein Banker sein Wissen nicht bei einer wohltätigen Organisation einbringen? Oder ein Sozialarbeiter in der Personalabteilung eines Konzerns? Oder ein Logistiker in einem Architekturbüro? Wer den Trampelpfad verlässt, stösst auf neue Chancen.
 
Der Erfolgsautor Martin Wehrle gilt als Deutschlands bekanntester Karrierecoach, sein aktuelles Buch ist der Spiegel-Bestseller „Herr Müller, Sie sind doch nicht schwanger?!“ In der Schweiz ist er als unterhaltsamer Vortragsredner bekannt, u.a. zu Führungskultur und Frauenförderung. Kontakt über: www.wehrle-redner.de


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