Bewerber verlieren die Geduld - myjob.ch
985 Artikel für deine Suche.

Bewerber verlieren die Geduld

Veröffentlicht am 14.04.2018 von Manuela Specker - Bildquelle: Thinkstock
Bewerber verlieren die Geduld
Firmen lassen sich oft viel Zeit, um eine Stelle zu besetzen – das kann sie die besten Köpfe kosten.
Manche Firmen scheinen alle Zeit der Welt zu haben. Vom Erscheinen der Stellenausschreibung bis zum Anstellungsentscheid können ohne weiteres sechs Monate vergehen. Die besten Bewerber haben sie bis dahin womöglich vergrault. Wie die Arbeitsmarktstudie des Personaldienstleisters Robert Half nämlich zeigt, ziehen Bewerber schnelle und einfache Recruitingabläufe vor und lassen potentielle Arbeitgeber, die zu langsam sind, links liegen. „Top-Kandidaten entscheiden sich für andere Stellen, wenn sich der Bewerbungsprozess zu sehr in die Länge zieht“, sagt Sven Hennige, Senior Managing Director bei Robert Half. Auf lange Sicht gefährde dies die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, da so zwangsläufig weniger geeignete Kandidaten eingestellt würden.
Die Verzögerungen äussern sich auf verschiedene Art und Weise. So erhalten Kandidaten auf ihre Bewerbung lange keine Rückmeldung, oder sie werden im Unklaren darüber gelassen, wie die nächsten Schritte ausschauen. Ebenfalls typisch ist, dass sie nach dem Vorstellungsgespräch tage- oder sogar wochenlang nichts hören, oft mit dem Hinweis verknüpft, das Interesse an der Stelle sei sehr gross, entsprechend nehme der Prozess viel Zeit in Anspruch. Das ist bisweilen taktisches Kalkül, um dem Bewerber nicht das Gefühl zu geben, über zuviel Verhandlungsmacht zu verfügen. Doch das kann ins Auge gehen: „Unternehmen mit langen und komplizierten Bewerbungsprozessen haben schlechte Karten im harten Wettbewerb um Fach- und Führungskräfte“, heisst es bei Robert Half.
Nicht zu unterschätzen ist auch, was der lange Bewerbungsprozess für die bestehenden Mitarbeitenden bedeutet, welche die temporäre Lücke füllen müssen. Im dümmsten Fall bleibt die Doppelbelastung an einer Person hängen, die dann im noch dümmeren Fall irgendwann kündigt, wenn die Stelle allzu lange unbesetzt bleibt. Den Unternehmen entstehen also oft Mehrkosten, wenn sie zuwarten – die eingesparten Lohnkosten machen dies längst nicht wett.  
Die wenigsten Firmen ziehen den Bewerbungsprozess absichtlich in die Länge. „Sehr häufig ist der Bewerbungsablauf zu kompliziert, zu viele Personen sind involviert, Entscheidungen und Budgetfreigaben dauern zu lang“, beobachtet Sven Hennige. Er empfiehlt, die Recruiting-Strategien und -Prozesse zu überdenken und effizienter zu gestalten. „Schlanke Prozesse gewährleisten ein schnelleres Recruiting und sind zudem kostengünstiger. Im Kampf um die besten Kräfte sollten Unternehmen darauf achten, den Wunsch der Bewerber nach Geschwindigkeit und Einfachheit zu erfüllen.“
Doch mit jedem Jahr scheint das Prozedere noch bürokratischer zu werden. Die Arbeitsmarktstudie, für die Personalfachleute aus 100 Unternehmen befragt wurden, zeigt jedenfalls, dass in den letzten Jahren bei 54 Prozent der Betriebe die Zeitspanne zwischen der Ausschreibung einer vakanten Stelle bis zur Einstellung des neuen Mitarbeitenden immer grösser geworden ist. 80 Prozent der Unternehmen brauchen bis zu drei Monate, bis sie jemanden gefunden haben, bei Führungspositionen dauert es sogar noch länger. 
Normal wäre laut Sven Hennige, dass der Recruiting-Prozess in der Regel innerhalb von sechs Wochen abgeschlossen werden kann. Gerade vor dem Hintergrund, dass vor allem in grösseren Unternehmen der Selektionsprozess zunehmend automatisiert wird, scheint dies eine realistische Vorgabe. In diesen Firmen, die alleine aufgrund ihrer Grösse auf die maschinelle Erstselektion setzen, werden die Lebensläufe zu Beginn nicht mehr von Personalfachleuten unter die Lupe genommen, sondern von Algorithmen, die auf bestimmte Schlüsselbegriffe programmiert sind. Das geht bedeutend schneller – aber am Schluss sind es natürlich immer noch die Menschen, welche die verbliebenen Kandidaten auf Herz und Nieren prüfen. Wenn vielen Unternehmen der Entscheid so schwer fällt und Kandidaten wochenlang warm gehalten werden, hat das oft auch etwas mit der Angst vor einer Fehlbesetzung zu tun. Aber umso grösser ist auch das Risiko, durch das Zaudern die aussichtsreichsten Kandidaten an die Konkurrenz zu verlieren.