Coworking-Arbeitsplätze setzen sich auch auf dem Land durch. Sie sind nicht nur für Selbstständige eine Option.
Vor etwas mehr als zehn Jahren wurden in Zürich und Lausanne die ersten Coworking-Arbeitsplätze eingerichtet. Mittlerweile sind solche Gemeinschaftsbüros kein rein urbanes Phänomen mehr: Selbst in kleineren Ortschaften werden Unternehmer, Kreative und Startups fündig, wenn sie tage- oder monatsweise einen Arbeitsplatz mieten wollen - samt entsprechender Infrastruktur wie WLAN, Drucker oder Beamer. Das hat den Vorteil, nicht gleich einen ganzen Büroraum zu beziehen und damit höhere Ausgaben tätigen zu müssen.
Die Vorteile gehen aber weit über das Finanzielle hinaus. Nutzerinnen und Nutzer von Coworking-Arbeitsplätzen schätzen auch den Austausch, der oft branchenübergreifend ist. Leicht kann es vorkommen, dass die Neurowissenschaftlerin neben dem Grafiker sitzt, oder dass bei der zufälligen Begegnung an der Kaffeemaschine die Ideen sprudeln. Das Angebot kommt gerade jenen entgegen, die sich im Homeoffice zu stark ablenken lassen. Die Anwesenheit von anderen Menschen, die leidenschaftlich ihrer Arbeit nachgehen, ist für viele ein Motivationsschub.
Auch Firmen zeigen vermehrt Interesse an dieser Arbeitsform und der damit verbundenen Vernetzung. Die Genossenschaft Village Office fördert dies zum Beispiel mit dem Angebot „Coworking Experience“: Unternehmen haben die Möglichkeit, eine Art Jahresabo zu lösen und so bestimmten Angestellten zu ermöglichen, tageweise in einem Gemeinschaftsbüro unweit ihres Zuhauses tätig zu sein. Das soll nicht nur die Arbeitszufriedenheit erhöhen, sondern auf lange Sicht auch Bürokosten einsparen.
Den Fokus legt die Genossenschaft Village Office vor allem auf Gemeinden: So sollen vermehrt auf dem Land Coworking-Möglichkeiten etabliert werden, um der Abwanderung der Arbeitskräfte in die Städte entgegen zu wirken und die Identifikation mit der Wohngemeinde zu fördern oder den lokalen Gemeinschaftssinn zu stärken. Die Grundidee hinter Village Office ist, dass Menschen auch dort arbeiten können, wo sie wohnen. Mehr als 70 Prozent aller Erwerbstätigen in der Schweiz haben heute den Arbeitsplatz ausserhalb ihrer Wohngemeinde.
Nicht umsonst trägt die Genossenschaft den Begriff „Village“ im Namen, der die Bedeutung der lokalen Gemeinschaft betont. Gleichzeitig sollen Verkehrsströme reduziert und zeitgemässe Arbeitswelten geschaffen werden. Das hat auch die eidgenössische Koordinationsstelle für nachhaltige Mobilität sowie den Förderfonds Engagement Migros überzeugt, welche das Pionierprojekt unterstützen. „Es handelt sich um ein nachhaltiges Mobilitätskonzept, das nicht Symptome bekämpft, sondern an der Ursache ansetzt“, sagt Leila Hauri-Stieger, die Projektverantwortliche bei Engagement Migros.
Erklärtes Ziel von VillageOffice ist es, dass bis 2030 in der ganzen Schweiz 1000 solcher Gemeinschaftsbüros existieren und dass jedermann die Möglichkeit hat, den entsprechenden Arbeitsplatz mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb von 15 Minuten von seinem Zuhause aus zu erreichen. Dafür werden auch bestehende Coworking Spaces eingebunden, neue Partner gewonnen und eigene Gemeinschaftsbüros eröffnet, sogenannte Flaggschiffe. Zwei solcher Flaggschiffe von Village Office befinden sich in Solothurn und Windisch. Alleine die Idee der Gemeinschaftsbüros kann für einen Innovationsschub in den Dörfern sorgen: Das toggenburgische Lichtensteig zum Beispiel, das knapp 2000 Einwohnerinnen und Einwohnern hat und mit dem klassischen Beizen- und Lädelisterben konfrontiert ist, verfügt mittlerweile ebenfalls über ein Angebot an Coworking-Arbeitsplätzen – und zwar im ehemaligen Postgebäude. Ein schönes Beispiel, wie aus der Not eine Tugend gemacht wird.
Gemeinschaftsbüros sind aber keine Selbstläufer. Oft fehlt es noch am Wissen, dass ein solches Angebot überhaupt existiert. Im Moment sind es vor allem Selbstständigerwerbende oder Mitarbeitende mit mehreren Standbeinen, die das Angebot nutzen. Die Veränderungen in der Arbeitswelt spielen aber definitiv in die Hände der Betreiber solcher Coworking-Arbeitsplätze: Projektbezogene Einsätze nehmen zu, und mit den neuen Informationstechnologien ist es nicht mehr notwendig, dass Mitarbeitende am immer selben Ort physisch präsent sind. Dass sich das mobile Arbeiten noch nicht mehr durchgesetzt hat, ist oft eine Frage der Firmenkultur; solche Veränderungen brauchen Zeit.
Weitere Informationen und eine Übersicht über bestehende Coworking-Arbeitsplätze: www.villageoffice.ch