Kunst- und Kulturschaffende arbeiten oft zu miserablen Bedingungen – nicht nur in der freien Szene.
Vom Applaus alleine kann die Künstlerin nicht leben. Und doch scheint es, als werde genau dies von ihr erwartet. Ob der Besucher des Luzerner Theaters, der es sich am Samstagabend im Sessel bequem gemacht hat, weiss, dass das Personal, das sich gerade vor seinen Augen auf der Bühne verausgabt, zum Teil zu sehr tiefen Löhnen arbeitet? Mit einer Mindestgage von 3700 Franken brutto für das künstlerische Personal gehört das Luzerner Theater zu den Schlusslichtern in einer Branche, in der sowieso keine üppigen Löhne bezahlt werden. Das Luzerner Kulturmagazin „041“ widmet sich in seiner aktuellen Ausgabe diesen ausbeuterischen Arbeitsbedingungen im Kunst- und Kulturbetrieb. „Hungerlöhne mögen an Theatern Usanz sein, dennoch halte ich es für nicht normal, dass hochqualifizierte Fachkräfte, eine Tänzerin mit Diplom, ein Dramaturg mit Masterabschluss, auf der Stufe von ungelerntem Servicepersonal entlöhnt werden“, ärgert sich Urban Frye im Interview. Der Luzerner Kantonsrat der Grünen und Kulturwissenschaftler spricht dabei auch das Problem von Angebot und Nachfrage an. „Unter dem Primat der Kunst ist jede und jeder ersetzbar, für eine offene Stelle stehen hundert andere an.“
Exakt das sind Begebenheiten, die ausbeuterischen Verhältnissen Tür und Tor öffnen. Es braucht Menschen, die vieles in Kauf nehmen, um ihren Traum zu leben, und es braucht eine grosse Konkurrenz, die jeden einzelnen ersetzbar machen und den Betroffenen das Gefühl geben, froh sein zu müssen, überhaupt einen Lohn für ihre Tätigkeit zu kriegen. Gerade die Sache mit dem „Traumjob“ ist im Kunstbetrieb bisweilen aber auch ein Mythos, der diese Plackerei zu geringen Löhnen aufrechterhält: Wenn zum x-ten Mal die gleiche Szene geprobt werden muss und die Beteiligten am Ende des Aufführungszyklus körperlich und psychisch am Ende sind, mag das eine Weile gut gehen. Aber irgendwann schafft auch die grösste Leidenschaft tatsächlich Leiden. Eine Schauspielerin, die namentlich nicht genannt werden möchte, sagt: „Mein vermeintlicher Traumjob saugt mich aus. Die latenten Unsicherheiten – auch in Bezug auf meine berufliche Vorsorge - fangen an, mich zu belasten.“ Früher oder später möchte jeder Anerkennung nicht nur über den Applaus und die Aufmerksamkeit erhalten, sondern auch über das Portemonnaie. Eine Malerin berichtet, wie in der Szene selbstverständlich angenommen wird, dass sie ganze Tage in einer Galerie verbringt und alle für die aufgewendete Zeit bezahlt werden - ausser sie. Eine Pianistin berichtet, wie sie an ihrer Universität, wo sie auch Vorlesungen hält, nach dem Masterabschluss für einen höheren Lohn kämpfen musste, der ihr gemäss Reglement auch zustand – aber ohne ihr Aufbegehren wäre sie zu denselben Bedingungen wie als Studentin weiterbeschäftigt worden. Eine Tänzerin berichtet, wie perplex sie war, als sie erfuhr, dass Ticketkontrolleure, die im selben Projekt engagiert waren, einen höheren Stundenlohn erhalten als sie.
Eine Umfrage aus dem Jahr 2016 von „Suisseculture Sociale“, dem Dachverband der Kulturschaffenden, fördert Bedenkliches zu Tage: Mehr als die Hälfte der Kulturschaffenden lebt unter prekären Umständen und verfügt über keine Altersvorsorge, die über die AHV hinausgeht – und dies trotz zusätzlicher nicht-künstlerischer Erwerbstätigkeit. Die Hälfte der 2422 Befragten verdient alles in allem weniger als 40'000 Franken im Jahr. Der Anteil des Einkommens, der aus dem Kunstschaffen erzielt wird, ist im Vergleich zur letzten Umfrage im Jahr 2006 sogar gesunken, obwohl der prozentuale Anteil der Arbeitszeit, die für die künstlerische Tätigkeit aufgewendet wird, gestiegen ist. Die Situation der Betroffenen hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert, gerade auch in der freien Szene.
Also ab nach Berlin, der Stadt, die wie geschaffen ist für Künstlerinnen und Künstler? Auch hier gilt: es weht ein rauer Wind. Berlin als hippe Stätte für Kreative zeigt sich mittlerweile ebenfalls von seiner hässlichen Seite. Gerne dürfen die Kunstschaffenden als „symbolisches Kapital“ für die Kulturstadt herhalten. Aber die neuste Studie über die Lebens- und Arbeitssituation von bildenden Künstlerinnen und Künstlern bestätigt, was längst vermutet wird: Immer mehr Kunstschaffende leben unter dem Existenzminimum, 90 Prozent aller Befragten droht eine Altersarmut. Staatliche Stipendien oder private Finanzierungen mögen schwierige finanzielle Situationen immer wieder entschärfen, ob in Luzern oder Berlin. Das setzt aber zugleich hohe Kompetenzen in der Selbstvermarktung voraus. An Institutionen, die immerhin eine Festanstellung, bieten, gilt bis auf weiteres: Wenn es einem nicht passt, wartet draussen schon der nächste.