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Sozialkompetenz? Fehlanzeige

Veröffentlicht am 12.02.2017
Sozialkompetenz? Fehlanzeige
Ab wann gilt eine Führungskraft eigentlich als sozialkompetent? Über die steile Karriere eines Begriffs – und warum diese Eigenschaft sowohl unter- als auch überschätzt wird.   Von Manuela Specker
Wer Menschen führt, sollte Menschen auch mögen, sich für ihre individuellen Potenziale interessieren und diese fördern. Das wäre eigentlich das Grundgerüst für jeden Vorgesetztenjob. Nur schaut es in der Realität oft anders aus, obwohl heute alles nach Sozialkompetenz schreit.
 
Eines der Hauptprobleme liegt nach wie vor darin, dass die falschen Personen zu Führungskräften befördert werden. Jene also, die zwar fachlich brillieren, die aber nicht mit Menschen umgehen können. Anders als konkrete Arbeitsleistungen sind die Sozialkompetenzen nicht messbar, und man kann sie sich auch nicht per Diplom aneignen. 
 
Hinzu kommt, dass viele Vorgesetzte selber eine diffuse Vorstellung davon haben, was eine sozial kompetente Person eigentlich genau auszeichnet. Selbst wenn in einer Stellenanzeige explizit Soft Skills verlangt werden, heisst dies noch lange nicht, dass die Verantwortlichen der Rekrutierung wissen, was sie genau darunter verstehen. Die Begriffe „Sozialkompetenz“ oder „Soft Skills“ sind mittlerweile so sehr Allgemeingut geworden, dass sie immer und überall herhalten müssen – sogar für Stellen, wo diese Kompetenzen nicht den Ausschlag geben. Zum Beispiel, wenn jemand den ganzen Tag alleine im Labor tüfteln muss.
 
Zwar werden Jobs, in denen Experten ausschliesslich für ihren Fachbereich verantwortlich sind, immer seltener. „Mitarbeitende, die ihr Wissen mit anderen teilen und Dinge in einen grösseren Zusammenhang stellen können, sind für Arbeitgeber ein unverzichtbarer Produktivitätsfaktor“, meint Jürgen Smid, geschäftsführender Gesellschafter von karriere.at. Aber das heisst noch lange nicht, dass jeder, der sich als Teamplayer bezeichnet, dies auch tatsächlich ist. Teamfähigkeit hängt immer auch von der jeweiligen Teamkonstellation ab.
 
Gerade bei Mitarbeitenden ohne Führungsfunktion ist es oft die Teamfähigkeit, die als Wunscheigenschaft genannt wird. Aber es zeigt sich eben immer erst in der Realität, wie es um die Kompatibilität mit den anderen Mitarbeitenden steht.
 
Neben Teamfähigkeit gehört auch die Eigenschaft, transparent und verständlich zu kommunizieren, zu den Soft Skills, ebenso Einfühlungsvermögen sowie ein fairer Umgang mit Konflikten und Kritik. Typisch für solche Vorgesetzte ist, dass sie gut zuhören können anstatt sich selber immer in den Vordergrund zu drängen. "Sozial kompetent ist, wer seine Meinung und seine Ziele nicht an die erste Stelle setzt, wer seine eigene Position vertreten, aber auch die Ansichten anderer gelten lassen kann“, bringt es die Diplom-Psychologin Judith Bergner auf den Punkt.
 
Die Bedeutung von sozialer Kompetenz habe durch die vermehrte projektorientierte Arbeit, die sich in den Unternehmen immer mehr durchsetzt, sogar zugenommen. So kann ein Projektleiter sein Team nicht einfach in autoritärer Manier dirigieren, sondern muss ihnen auf Augenhöhe begegnen. 
 
Gleichzeitig darf die Sozialkompetenz auch nicht überschätzt werden. So bringt es wenig, wenn jemand sehr einfühlsam ist, aber seine Position nicht gegenüber anderen durchsetzen kann,  sondern sich dem Frieden zuliebe unterordnet. Mit Sozialkompetenz alleine macht man also noch lange keine Karriere, im Gegenteil: Es besteht die Gefahr, dass aus lauter Rücksicht auf andere unliebsame Arbeit bei einem selber hängen bleibt. Vorgesetzte müssen also ständig die optimale Balance zwischen Einfühlungsvermögen und dezidiertem Auftreten mit klaren Ansagen finden.
 
Es besteht allerdings auch die Tendenz, Führungskräfte zu Sündenböcken für alle möglichen Probleme zu machen.  Bei aller Kritik sollte deshalb nie vergessen werden,  dass Vorgesetzte immer auch innerhalb einer Unternehmenskultur und den vorhandenen Strukturen agieren. Oder anders ausgedrückt: Wenn Sozialkompetenz bereits in der obersten Führungsetage als vernachlässigbarer weicher Faktor angeschaut wird, drückt das eben oft auch auf den tieferen Führungsebenen durch.

Bildquelle: Thinkstock