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Führerschein für Führungskräfte

Veröffentlicht am 04.10.2015
Gute Führung - Führerschein für Führungskräfte
Gute Führung fällt nicht vom Himmel – sie ist ein Handwerk und somit lernbar.
Wer ein Auto fährt, muss zuerst einen Führerschein erwerben. Warum soll das eigentlich nicht für Führungskräfte gelten?
                   
Von Martin Wehrle*

Warum kündigen Mitarbeiter ihrs Jobs? Wer dieser Frage nachgeht, stösst immer wieder auf denselben Hemmschuh: einen unfähigen Vorgesetzten. Der direkte Chef hat grossen Einfluss darauf, ob Mitarbeiter frustriert sind oder sich wohlfühlen. Unfähige Chefs zeichnen sich dadurch aus, dass die Mitarbeiter „unter ihnen“ arbeiten (mit begrenztem Engagement). Fähige Chefs dagegen erreichen es, dass die Mitarbeiter „für sie“ arbeiten (mit vollem Einsatz).
 
Gute Führung fällt nicht vom Himmel, sie setzt gute Ausbildung voraus. Doch die einzige Qualifikation, die ein Vorgesetzter gegenwärtig braucht, ist seine Beförderung. Der beste Ingenieur wird eines Tages zum Chef der Entwicklungsabteilung ernannt. Aber wer garantiert, dass er mit Menschen genauso gut wie mit Maschinen umgehen kann? Den Umgang mit der Technik hat er über Jahre erlernt; aber mit dem Führen von Menschen muss er keinerlei Erfahrung haben, ja nicht einmal Lust dazu.
 
Dieselben Unternehmen, die jede neue Maschine mit Verstand auswählen, besetzen ihre Führungspositionen in unkritischer Naivität. Das muss sich ändern. Wer ein Auto führen will, braucht eine fundierte Qualifikation in Theorie und Praxis. Wer Menschen führen will, erst recht! Es darf nicht sein, dass unqualifizierte Vorgesetzte die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden an die Wand fahren. So utopisch die Idee klingen mag: Sinnvoll wäre ein Führerschein für Führungskräfte.
 
Führung ist eine Humanwissenschaft. Ein kompetenter Chef unterstützt Mitarbeiter dabei, ihre Möglichkeiten zu entfalten, ihre Ziele zu erreichen und ebenso, die Grenzen ihrer Kraft zu erkennen. Wir müssen eine Führungskultur entwickeln, die nicht manipuliert und ausquetscht, sondern das Fordern mit der Fürsorge verbindet.
 
Ein Vorgesetzter muss lernen, wie Stress bei Mitarbeitern entsteht und wie er ihn vermeidet, etwa durch sein gutes Vorbild, durch machbare Terminvorgaben und durch klare Regelungen, wann Mails abgerufen werden (am besten nur ein- oder zweimal am Tag), wann der Dienst endet und zu welchen Zeiten ein Mitarbeiter nicht erreichbar sein darf.
 
Er muss lernen, wie der menschliche Biorhythmus funktioniert, und dass Erholungsphasen die Voraussetzung sind für Höchstleistungen (weil der Akku dazu voll sein muss und sich nur durch Entspannung lädt) und für kreativ-ganzheitliches Denken (weil es dem Gehirn vor allem im entspannten Alphazustand gelingt). Menschen sind keine Maschinen, die bei doppelter Arbeitszeit doppelte Leistung bringen. Überstunden beschwören Fehler herauf und mindern die Qualität der Arbeit. Wer nach acht Stunden geht, statt der Firma in der zehnten Stunde einen schweren Fehler einzubrocken, hat mehr geleistet!
 
Ein kompetenter Vorgesetzter muss wissen, welches die frühsten Symptome einer Überforderung sind – oft übermäßiger Einsatz! – und was in diesem Fall zu tun ist; ein Praktikum in einer Burn-out-Klinik sollte zur Führungskräfte-Ausbildung gehören. Chefs müssen lernen, die Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter nicht nur zu nutzen oder gar auszunutzen, sondern sie zu erhalten und zu fördern.
 
Der Führerschein würde eine Kontrollinstanz beinhalten: eine Art Flensburg für Führungskräfte. In Flensburg gilt nämlich seit Mai 2014 ein neues Verkehrssystem: Wer sich nicht den Verkehrsregeln entsprechend verhält, wird mit einem Punkt bestraft. Bei acht Punkten wird den Betroffenen der Führerschein entzogen.  
 
In so einem System werden Vorgesetzte angezählt, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, Burn-outs verursachen, Mobbings dulden und Menschen ruinieren. Wer beim Führen über rote Ampeln fährt, muss seinen Führerschein verlieren – zum Schutz der Allgemeinheit.
 
*Der Erfolgsautor Martin Wehrle gilt als Deutschlands bekanntester Karrierecoach, sein aktuelles Buch ist der Spiegel-Bestseller „Herr Müller, Sie sind doch nicht schwanger?!“ In der Schweiz ist er als unterhaltsamer Vortragsredner bekannt, u.a. zu Führungskultur und Frauenförderung. Kontakt über: www.wehrle-redner.de

Foto: Thinkstock