Der Managementtrainer Reiner Neumann über den Umgang mit Macht im Geschäftsleben.
- von Manuela Specker -
Die Insignien der Macht sind unübersehbar. Sie manifestieren sich im besser ausgestatteten Büro, im Dienstwagen, im goldigen Füllfederhalter oder im überdimensionierten Ledersessel. Solche Annehmlichkeiten bekommen aber nicht allen gleich gut. Der langsame Verlust der Bodenhaftung äussert sich in nonverbalen Machtspielen. «Wer als Mitarbeiter solche Störungen akzeptiert, hat bereits verloren», meint der Diplompsychologe und Managementtrainer Reiner Neumann, der sich seit mehreren Jahren mit den verschiedensten Formen der Machtausübung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auseinandersetzt.
Eine typische Situation spielt sich folgendermassen ab: Der Mitarbeiter wird vom Vorgesetzten ins Büro zitiert, doch der Chef lässt sich ständig durch eingehende Mails und Telefonate unterbrechen. Nonverbal äussern sich die straffen Hierarchien auch in der Angewohnheit des Ranghöheren, das Gegenüber mit einem ironischen Lächeln aus dem Konzept zu bringen oder ausschliesslich Fragen zu stellen, ohne selber auf welche einzugehen.
Neumann blickt nicht nur hinter die Machtmechanismen, die das Geschäftsleben durchziehen. Er zeigt auch auf, wie Mitarbeitende selber zur Verfestigung solcher Mechanismen beitragen, indem sie Autoritäten unkritisch folgen oder eine hohe Loyalität an den Tag legen. Statt also in der oben beschriebenen Situation vorzuschlagen, das Gespräch zu vertagen oder den Vorgesetzten in seiner Unhöflichkeit zu unterbrechen, werden solche Machtdemonstra-tionen oft als gegeben hingenommen.
«Die Tendenz zum konformen Verhalten unterstreicht unsere Zugehörigkeit zu einer Gruppe», erläutert Neumann. Zudem sei bedingungslose Loyalität nicht selten eine Voraussetzung, um selber eine steile Karriere hinzulegen. Der Konformitätsdruck ist hoch; am weitesten kommt, wer sich den herrschenden Erwartungen anpasst. Wenn man gute Beziehungen habe, seien nicht ganz so perfekte Qualifikationen kein Thema. «Nur mit einem einflussreichen Förderer schaffen Sie es bis an die Spitze», bringt Neumann auf den Punkt, was auch von anderen Studien gestützt wird.
Eliteforscher Michael Hartmann beispielsweise konnte nachweisen, dass die Herkunft einen grossen Einfluss auf den Karriereverlauf hat: Fast 80 Prozent der Chefs der 200 grössten deutschen Unternehmen kommen aus grossbürgerlichen Familien. Auch der Karriere- und Laufbahnforscher Wolfgang Mayrhofer, der in einer umfassenden Studie die Karrierepfade deutschsprachiger Manager unter die Lupe genommen hat, bläst ins gleiche Horn: Beziehungsarbeiter und Selbstinszenierer steigen schneller auf und verzeichnen grössere Zuwächse an Einkommen.
Das ist nicht per se verwerflich. Aber nicht jeder, der an die Macht kommt, kann auch mit Macht umgehen. Mitunter geht sie Hand in Hand mit übersteigertem Selbstbewusstsein und hoher Risikobereitschaft. «Menschen in hohen Positionen konzentrieren ihre Aufmerksamkeit stärker auf die möglichen Belohnungen als auf das potenzielle Risiko», meint Neumann.
Ein Forscherteam von der Kellogg School of Management konnte deutlich aufzeigen, wie Macht eine Doppelmoral begünstigt. In den Experimenten verurteilten jene in einer machtvollen Position die Vergehen anderer Menschen wie Steuerhinterziehung, während sie sich selber andere Massstäbe bei moralischen Ansprüchen anlegten.
Wer also mit Macht ausgestattet ist, sieht sich in einer Sonderrolle. Das erklärt, warum manche Topmanager mit ihren Exzessen für Schlagzeilen sorgen oder eine Firma mit unverantwortlichen riskanten Strategien geradewegs in den Ruin treiben. Nach jahrelanger Machtausübung halten sie sich für unangreifbar und unsterblich – wie der ehemalige Währungsfonds-Direktor Dominique Strauss-Kahn, dessen ausschweifendes Sexualleben ihn vorzeitig um die Präsidentschaftskandidatur brachte.
Die Machtmechanismen
Den Verführungen der Macht scheinen vor allem jene zu erliegen, welche eine solche Position bewusst anstreben, die sie sich also explizit
über Macht definieren und Erfolg grundsätzlich ihrer Person und Misserfolg anderen Personen zuschreiben. Ein nachhaltiger Umgang mit Macht schaut anders aus. Seine Integrität hält am ehesten aufrecht, wer sich bewusst ist, dass andere den Job genauso gut oder besser machen würden. Intelligente Machtmenschen wissen zudem, dass
sich das Blatt jederzeit gegen sie wenden kann. Es liegt deshalb in ihrem ureigensten Interesse, Macht geschickt einzusetzen. Zentral ist dabei eine faire Behandlung der Mitarbeiter: Ziele klar formulieren statt immer wieder die eigene Machtfülle zu demonstrieren. Mit anderen Worten: den
Fokus mehr auf die Personalentwicklung statt auf das Polieren des eigenen Status richten. «Mitarbeiter haben ein Recht darauf zu wissen, wie ihr Vorgesetzter sie sieht und was er von ihnen erwartet», so der Management-Trainer Reiner Neumann.
Reiner Neumann: Die Macht der Macht. Hanser-Verlag, 2012.
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