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Die Ritter der Schwafelrunde

Veröffentlicht am 03.05.2015
überflüssige Meetings, Ritter der Schwafelrunde, ineffektive Meetings, effektive Führung - myjob.ch
Die Zahl der Meetings nimmt gnadenlos zu. Muss das eigentlich sein? Warum Sitzungen oft so ineffektiv sind – und weniger mehr wäre.   Von Martin Wehrle*  
„Eine Sache wollte ich noch mit Ihnen klären!“ ruft die junge Juristin verzweifelt, während ihr Chef aufspringt, zur Tür flitzt und noch ruft: „Sprechen Sie mich nach dem Meeting an“. Doch nach dem Meeting ist vor dem Meeting! Einen Chef erkennt man im Zweifel daran, dass er gerade …
… in ein Meeting rennt (und deshalb keine Zeit hat).
… aus einem Meeting kommt (und deshalb keine Zeit hat).
… in einem Meeting sitzt (und deshalb erst recht keine Zeit hat).Der dritte Fall ist am wahrscheinlichsten, denn die Zeitfenster zwischen den Meetings sind schmal wie Türschlitze; für Nebensächlichkeiten wie Mitarbeiterführung bleibt kaum Zeit. Die Zahl der Meetings ist unbegrenzt, nicht aber die Zahl der Teilnehmer: Einfache Mitarbeiter sind oft unerwünscht. Hier treffen sich vor allem Manager und alle, die sich dafür halten.
 
Diese Ritter der Schwafelrunde fällen wichtige Entscheidungen im Alleingang. Warum sollte man auch, wenn eine Verkaufsstrategie diskutiert wird, einen einfachen Vertriebsmitarbeiter um seine Meinung fragen? Warum sollte man, wenn es um Kundenfreundlichkeit geht, einen schlichten Kundenberater einbeziehen? Und warum sollte man, ehe neue Lkw gekauft werden, die Fahrer um ihre Einschätzung bitten?
 
Oben wird gedacht, unten wird gemacht. Oder auch nicht. Man kann sich vorstellen, wie die Lkw-Fahrer reagieren, wenn die Chefs mal wieder den pannenanfälligsten Wagen ausgesucht haben (wovor die Fahrer, durch Kollegen informiert, sofort hätten warnen können). Dann kann es aus Rachelust schon mal passieren, dass eine Mini-Panne auf die Länge eines Meetings ausgedehnt wird.
 
Einen Feind teilen die Ritter der Schwafelrunde mit den Lkw-Fahrern: den Sekundenschlaf. Wobei das Wegnicken und anschließende Hochfahren in der Sitzung auch positive Effekte haben kann – sofern es der Oberchef als das übliche Kopfnicken eines getreuen Dieners interpretiert. Mit welchem Trick sich die Meeting-Teilnehmer vorm Tiefschlaf bewahren, hat der Soziologe Cyril Parkinson herausgefunden: Sie sprechen nicht über jene Themen, die am wichtigsten sind – sondern über jene, von denen sie am meisten verstehen.
 
Wenn es zum Beispiel um eine Fusion geht, starren die Manager auf das Einsparpotenzial; mit Zahlen kennen sie sich aus. Aber ob die Firmenkulturen zueinander passen, ob die Kunden eine solche Fusion akzeptieren und wie sich Entlassungen auf die Arbeitsmoral der verbleibenden Mitarbeiter auswirken – über solche Randfragen brettern sie hinweg. Und niemand verliert ein Wort über jene Studie der Investmentbank Morgan Stanley, nach der 70 Prozent aller Fusionen scheitern.
 
Wahrscheinlich sass der Münchener Komiker Karl Valentin gerade in einer Chefrunde, als er feststellte: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“ Jeder Kleinst-Chef läuft in Gegenwart seines Oberchefs zu Hochform auf. Die mageren Arbeitsergebnisse seiner Abteilung jubelt er zur Glanzleistung hoch. Der Vertriebsleiter torpediert den Forschungsleiter, der Produktionsleiter hadert mit dem Einkaufsleiter, und alle zusammen knüppeln sie auf den Personalleiter ein, der wieder mal nicht genug neue Ingenieure herangeschafft hat und Mitarbeiter für Fortbildungen kidnappt.
 
Noch lustiger wird es beim Tagesordnungs-Punkt „Mitarbeiterführung unter Berücksichtigung unserer Unternehmenskultur“. Man ist sich einig: Ein guter Vorgesetzter muss jederzeit für seine Mitarbeiter ansprechbar sein (aber wie, wenn er jeden Tag sechs Stunden vom Konferenzsaal verschluckt wird?). Man ist sich einig: Das Wissen der Mitarbeiter wollen wir als unserer Kapital nutzen (aber wie, wenn es bei wichtigen Sitzungen ausgesperrt bleibt?). Man ist sich einig: Bei uns zählen Arbeitsergebnisse und keine Ankündigungen (aber wer hat je von einem Meeting gehört, bei dem mehr als Ankündigungen herausgekommen wären?).
Dabei gäbe es einen Beschluss, der sich durchaus lohnen würde: künftig weniger Meetings anzusetzen! Denn wenn mehr Zeit bliebe, im Alltag miteinander zu reden, wären die meisten Meetings überflüssig.
 
*Der Erfolgsautor Martin Wehrle (44) gilt als Deutschlands bekanntester Karrierecoach, sein aktuelles Buch ist der Spiegel-Bestseller „Herr Müller, Sie sind doch nicht schwanger?!“ In der Schweiz ist er als unterhaltsamer Vortragsredner bekannt, u.a. zu Führungskultur und Frauenförderung. Kontakt über: www.wehrle-redner.de


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