Manche Mitarbeitende kommen vor lauter Sitzungen nicht zum Arbeiten. Dabei gäbe es Alternativen
Viele Meetings sind überflüssig, trotzdem halten Firmen eisern daran fest. Wie sich die Macht der Gewohnheit durchbrechen lässt.
Von Manuela Specker
Jede Sitzung dauert maximal 50 Minuten und hat einen klaren Fokus. Es muss mindestens ein Entscheidungsträger dabei sein, und es sind maximal 10 Personen eingeladen, die alle auch etwas zu sagen haben: Diese Spielregeln hat Google-Chef Larry Page in seinem Konzern eingeführt. Er, der hautnah miterlebt hat, wie mit dem Wachstum von Google die Sitzungen zunehmend häufiger und unproduktiver wurden, wollte wieder anknüpfen an die Zeiten, als Google noch ein Start up war.
In den meisten Firmen wird über Sinn und Unsinn von Sitzungen nicht einmal reflektiert – sie gehören einfach dazu. Mittlerweile haben Meetings geradezu bedrohliche Ausmasse angenommen: Top-Manager verbringen bis zu 90 Prozent ihrer Arbeitszeit an Konferenzen. Selbst bei „normalen“ Angestellte kann es vorkommen, dass sie sechs Stunden pro Woche in Sitzungen buchstäblich festsitzen, wie eine Untersuchung der Arbeits- und Organisationspsychologin Eva-Maria Schulte ergab. Nach den Meetings fühlen sie sich schlechter als vorher.
Das verwundert nicht, beschleicht doch so manche Sitzungsteilnehmenden im Nachhinein das Gefühl, das Zusammentreffen sei ohne Nutzen gewesen, während ihnen die liegen gebliebene Arbeit über den Kopf wächst. In einer kürzlich publizierten Umfrage des Personaldienstleisters Office Team taxierte jedenfalls mehr als jeder fünfte der 250 befragten HR-Verantwortlichen aus der Schweiz und Deutschland die Hälfte aller Besprechungen als überflüssig und unproduktiv. Als besonders unbefriedigend gelten Sitzungen, aus denen weder Ergebnisse noch Entscheide hervorgehen. Sie verlaufen planlos, ohne konkrete Agenda, und entsprechend bereiten sich Teilnehmende nur ungenügend vor. Die Personalverantwortlichen beklagten auch die Gesprächsdisziplin, die zu wünschen übrig lässt.
Warum ist die Sitzungskultur dermassen aus den Fugen geraten? Einer der Gründe liegt in den Profilierungsneurosen: Sitzungen dienen als Plattform der Selbstdarstellung. Da geht es längst nicht mehr nur um die Sache, sondern um die Demonstration von Macht und Karrierewillen. Im schlimmsten Fall will jeder dem Sitzungsleiter gefallen – sofern denn überhaupt ein Sitzungsleiter bestimmt ist. Die HR-Verantwortlichen waren nämlich der Ansicht, dass viele Meetings ohne Ergebnisse bleiben, weil die falschen Personen anwesend seien und wichtige Entscheidungsträger fehlten.
Wie also liesse sich die Meeting-Euphorie bändigen? Eine der Grundvoraussetzungen: jeder Verantwortliche muss sich immer überlegen, welche Form der Besprechung angebracht wäre, anstatt automatisch eine Sitzung einzuberufen. Das Institut für sozialwissenschaftliche Forschung in München hat die Sitzungskultur mehrerer Industriebetriebe unterschiedlicher Grösse analysiert und kam zu interessanten Ergebnissen. So würden sich laut der Fallstudie viele Abstimmungsprozesse im betrieblichen Alltag effektiver bewältigen, im Sinne einer „informellen Kooperation“. Besprechungen müssten laut den Forscherinnen gezielter eingesetzt werden, sie seien nicht das Allheilmittel für alle Fragen der Kooperation und Koordination. Viele Probleme liessen sich auf dem „kleinen Dienstweg“ häufig am schnellsten und einfachsten lösen. Ist eine Sitzung unumgänglich, helfende folgende Regeln für eine effiziente und ergebnisorientierte Abwicklung:
- Das Thema eingrenzen und die Erwartungen und Ziele im Vorfeld an die Teilnehmenden kommunizieren, damit diese sich entsprechend vorbereiten können. Ungenügende Vorbereitung provoziert lediglich erneut ein Meeting.
- Nur jene an den Sitzungstisch einladen, welche vom Thema direkt betroffen sind und die nötigen Entscheidungskompetenzen haben. Doch Vorsicht: Meetings sind nicht dazu da, um die eigenen Vorschläge von den Kollegen absegnen zu lassen und damit die Verantwortung auf mehr Schultern zu verteilen.
- Sitzungen sind keine Plattformen der Selbstdarstellung und der Machtkämpfe. Die Teilnehmenden müssen an der Sache und an guten Ergebnissen orientiert sein.
- Einen Zeitplan aufstellen und diesen auch einhalten.
Google ist unterdessen daran, Konferenzen weiter zu vereinfachen, nicht mehr nur im eigenen Haus. Die soeben in den USA lancierte „Chromebox“ soll das Aufsetzen und Durchführen von Videokonferenzen vereinfachen. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass sich die meisten Arbeitnehmenden noch immer am liebsten von Angesicht zu Angesicht begegnen. Nur muss dies ja nicht zwingend im Rahmen einer zeit- und nervraubenden Sitzung geschehen.